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Graveminder

Graveminder

Titel: Graveminder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Marr
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Sie blickte sich um, und plötzlich waren die Erinnerungen zu viel für sie – und die Erinnerung, die nicht ihr gehörte, Maylenes letzte Erinnerung, warf einen Schatten über alles andere.
    Maylene war hier umgebracht worden.
    Die Wände rückten dicht an sie heran, und jedes Geräusch verunsicherte sie. Das Haus, in dem sie sich immer sicher gefühlt hatte, der Ort, an den sie sich flüchtete, wenn ihr die Welt unerträglich wurde, hatte plötzlich Schatten hervorgebracht, die sich ringsum drohend ausbreiteten. Die Angst war nicht begründet, aber sie konnte auch nicht behaupten, sie sei albern. Schließlich hatte jemand Maylene in ihrem Heim ermordet.
    War es jemand, den sie kannte?
    Jemand, der an ihrem Grab gestanden hatte?
    Hatte er – oder sie – ihr Trostworte gespendet?
    Der Wind setzte die Schaukel auf der Veranda knarrend in Bewegung. Als Mädchen hatte dieses Geräusch sie beruhigt. Als erwachsene Frau, die sich allein in dem Haus aufhielt, in dem ihre Großmutter ermordet worden war, hörte es sich weit weniger tröstlich an.
    Rebekkah hob Cherub hoch, der ihr um die Füße strich, und trat ans Fenster. Sie zog die Gardinen beiseite und spähte nach draußen. Es ging auf den Spätnachmittag zu, aber die Sonne war noch nicht untergegangen. Die Veranda war leer.
    Nichts als Schatten und Luft.
    »Ich gehe spazieren«, verkündete Rebekkah.
    Cherub maunzte.
    »Pst, ich bin bald wieder zurück.« Sie küsste den Kater auf den Kopf und setzte ihn auf den Boden.
    Sie legte die Trauerkleidung ab und zog Jeans, einen dunkelgrauen Pullover, Stiefel und eine schwarze Jacke an. Dann nahm sie ihre Brieftasche, die Schlüssel und ein Pfefferspray. Pfefferspray war vielleicht keine ideale Waffe gegen ein Tier, aber es würde ihr eine Atempause verschaffen, falls sie von der Person angegriffen wurde, die Maylene verletzt – getötet  – hatte. Ein Gewehr wäre besser gewesen. Sie war mit Schusswaffen groß geworden, aber ihres Wissens befand sich lediglich eine Jagdflinte im Haus. Sogar in Claysville hätte eine Frau, die damit durch die Straßen gegangen wäre, ziemliches Aufsehen erregt. Dann eben Pfefferspray. Sie stopfte alles in ihre Jackentaschen und knallte die Tür zu.
    Sie hatte kein bestimmtes Ziel, Hauptsache, sie kam an die frische Luft. Zu viele Veränderungen in zu kurzer Zeit. Sie hätte erwartet, dass auch Cissy etwas erben würde. Als ob sie einen weiteren Grund gebraucht hätte, um mich zu hassen, dachte Rebekkah. Sie spürte einen Anflug von schlechtem Gewissen, weil Cissy und die Zwillinge überhaupt nichts bekommen hatten. Gleichzeitig aber war sie erleichtert, dass das Haus, das ihr zur Zuflucht geworden war, nun gänzlich ihr gehörte.
    Mehrmals meinte Rebekkah, jemanden hinter sich zu hören, doch wenn sie sich umwandte, war da niemand. Sie ging schneller und hielt sich an die gut beleuchteten Bürgersteige. Als sie an das kleine Mädchen dachte, das am Arm verletzt worden war, hielt sie inne. Straßenlaternen mochten menschliche Angreifer abschrecken, aber würden sie auch ein wildes Tier aufhalten? Wenn jemand oder etwas ihr folgte, war es unklug, sich ständig umzudrehen.
    Und was jetzt?
    Sie rannte los. Das dumpfe Geräusch, das ihre Stiefel auf dem Boden erzeugten, schien mit jedem Schritt lauter zu hallen. Als sie die vertraute Neonreklame des Gallagher’s erreichte, schmerzten ihre Beine, und Schweiß rann ihr das Rückgrat hinunter. Nichts und niemand hatte sie behelligt, und nach dem Lauf fühlte sie sich zum ersten Mal seit dem Anruf am Tag zuvor besser.
    Das war erst gestern, schoss es ihr durch den Kopf. Sie schüttelte den Kopf. Zu viele Veränderungen, zu schnell. Sie schob die Tür auf und betrat die schummrige Bar.
    Vertraute und fremde Gesichter wandten sich ihr zu. Niemand sah feindselig drein, aber angesichts der musternden Blicke fühlte sie sich unbehaglich. Die Leute hier kannten sie, wussten mehr über sie, als ihr lieb war. Vom Kopf her war ihr das klar, aber die Erfahrung, beobachtet und inspiziert zu werden, verunsicherte sie stärker als erwartet. Vielleicht machte ihr das offensichtliche Mitleid mehr aus als die neugierigen Blicke.
    »Beks?«, rief Amity. »Komm, setz dich her!«
    Rebekkah hätte Amity für diese Einladung umarmen können. Als Barkeeperin gehörte es zu ihrem Job, freundlich zu sein, aber das war Rebekkah gleichgültig. Lächelnd trat sie an die Theke.
    Amity stand da und hatte die Hände auf die Hüften gelegt. An einer Hand baumelte ein

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