Graveminder
Barhandtuch. Ihre Miene drückte kein Mitleid aus. »Suchst du jemanden?«
Rebekkah schüttelte den Kopf. »Nur frische Luft und einen Drink. Ich … ich musste mal raus.«
Amity wies auf einen Barhocker. »Willst du reden?«
»Nein.« Rebekkah zog sich den Hocker heran und setzte sich. »Geredet habe ich heute schon mehr als genug.«
»Verstanden. Nicht reden.« Amity schob ihr eine Schale mit Knabbergebäck hin. »Also … Bier, Wein oder harte Sachen?«
»Einfach Wein. Hausmarke. Was auch immer.«
»Wir haben …«
»Egal«, unterbrach Rebekkah sie. »Ich will nur ein Glas in der Hand halten und hier sitzen, ohne vollkommen bemitleidenswert auszusehen.«
Amity starrte sie einen Moment lang an, wandte sich um und zog eine halb leere Weinflasche aus einem Kühlfach. Sie drehte den Korken aus der Flasche. »Du willst weder trinken noch reden.«
»Nein.«
Amity schenkte die helle Flüssigkeit in ein Glas ein, drückte den Korken wieder in den Flaschenhals und trug den Wein zur Bar. »Wonach suchst du dann?«
»Keine Ahnung.« Rebekkah schlang die Finger um das Glas. Es fühlte sich zerbrechlich an, und sie überlegte einen Moment lang, ob sie so fest zudrücken sollte, dass die Glasscherben sich in ihre Haut bohrten. Doch dann hob sie das Glas und trank es halb leer.
»Lasst ihr uns ein Weilchen allein, Leute?« Amity entkorkte die Flasche und füllte das Glas nach. »Hätte ich vielleicht fragen sollen, nach wem du suchst?«
»Nein.« Hinter sich hörte Rebekkah, wie die Tür sich öffnete und schloss. Schwere Schritte hallten durch den Raum. Die Tür öffnete und schloss sich erneut. Wieder Schritte. Abermals öffnete sich die Tür und klickte zu.
»Bek?« Amity bedeckte Rebekkahs Hand mit der ihren. »Du wirst damit fertig.«
Rebekkah nickte.
Nachdem sie ein paar Minuten schweigend beieinandergesessen hatten, sah Rebekkah sich um. Der Gastraum war leer. Amity kam mit ihrem Barhandtuch hinter der Theke hervor. So, wie sie angezogen war, sah die Barkeeperin aus, als erwarte sie eine zahlreiche Gästeschar. Ihr kurzer Rock und die hohen Stiefel lenkten die Blicke auf sich. An Abenden, an denen nicht viel los war, kam Amity in Jeans – obwohl sie nicht einmal damit nachlässig aussah –, aber die großzügige Aussicht auf nackte Haut lockte den Gästen mehr Geld aus der Tasche. Daher trug sie an Abenden, an denen es hoch herging, einen Rock.
»Du hast sie hinausgeworfen«, stellte Rebekkah fest.
»Sie hätten mir ja nicht zu gehorchen brauchen.« Amity warf eine Flasche in Richtung Mülleimer – wie einen Basketball auf einen Korb.
Rebekkah ließ ihren Drink stehen und stellte sich neben Amity, die leise vor sich hin sang und dabei Flaschen wegwarf, Aschenbecher leerte und Krümel von den Tischen auf den Boden fegte. Rebekkah sammelte ein paar halb leere Gläser ein, die die Gäste zurückgelassen hatten, und trug sie zur Theke. »Dich erschüttert rein gar nichts, oder?«
Einen Moment lang wurde Amity still. Ein Anflug von Furcht huschte über ihr Gesicht. Dann warf sie eine weitere Flasche weg. »Ach, du würdest dich wundern.«
Rebekkah war sich nicht sicher, ob sie nachhaken oder die Bemerkung stehen lassen sollte. Sie hielt inne, und der Moment zog sich in die Länge. »Vielleicht kannst du mir irgendwann abends erzählen, was der unbesiegbaren Amity Blue Angst einjagt.«
»Vielleicht«, murmelte Amity. »Aber nicht heute.«
»Nein, nicht heute.« Rebekkah trat an die Theke und legte die Hand auf die Durchgangsklappe. »Darf ich?«
»Klar. Teufel, wenn du willst, kannst du sogar ein paar Schichten übernehmen, solange du hierbleibst … Lenkt dich vielleicht ab von dem beengenden Gefühl, wieder in Claysville zu sein«, meinte Amity.
»Ach, ich weiß nicht …« Rebekkah hob die Klappe und trat hinter den Tresen. Dann schloss sie sie wieder und trennte damit erneut das Reich des Bartenders vom Gastraum ab. Nun standen Amity und sie auf entgegengesetzten Seiten wie zu Beginn des Abends.
Ein Job? Immer am gleichen Ort? Rebekkah konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt eine feste Anstellung gehabt hatte. Ein Teil der Alimente, die ihre Mutter von ihren diversen Exehemännern erhielt, und Jimmys äußerst großzügige Lebensversicherung hatten ihr ein Bankkonto beschert, das nie wesentlich zu schrumpfen schien. Sie hatte das Honorar aus einigen künstlerischen Auftragsarbeiten darauf eingezahlt, aber eher um ihr Selbstwertgefühl zu stärken als aus Notwendigkeit. Jobs
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