Graveminder
glauben.«
Rebekkah konnte sich nicht überwinden, Amity zu fragen, aber gewusst hätte sie es gern. Wäre es ihr doch gleichgültig gewesen, ob es Byron war oder nicht! Aber es war ihr nicht gleichgültig. »Vielleicht sollte ich mit ihm reden. Kenne ich ihn?«
Amity trat an die Bar und stemmte sich mit beiden Händen darauf hoch, bis ihre Füße vom Boden abhoben. Sie beugte sich vor, griff unter die Theke und zog die Fernbedienung der Jukebox hervor. Dann sprang sie wieder hinunter und richtete die Fernbedienung darauf. »Komm, such uns ein paar Songs aus! Wenn du schon hier bist, kannst du auch tanzen oder Billard spielen.«
»Ich bin die totale Versagerin beim Poolbillard.« Rebekkah kam wieder durch die Klappe hinter der Theke hervor. Neben Amity blieb sie stehen. »Hast du Sheriff McInney davon erzählt?«
Amitys Lächeln wirkte angespannt. »Das mit Troy? Ja, er weiß Bescheid.«
»Und?«
»Troy ist ein wenig … unzuverlässig, deswegen denkt der Sheriff sich nichts dabei. Ich habe Bonnie Jean gebeten, es auf der nächsten Stadtratssitzung anzusprechen.« Amity hob die Schultern. »Aber meine Schwester ist so drauf aus, den Bürgermeister zu beeindrucken, dass ich mich nicht ernsthaft auf sie verlassen kann.«
Die Tür öffnete sich. Draußen stand ein halbes Dutzend Männer. Der vorderste sah die beiden Frauen an, nahm den Hut ab und behielt ihn in der Hand. »Ma’am?«
Augenblicklich kehrte Amitys Barkeeperlächeln zurück, und sie winkte die Gäste herein. »Pause ist vorbei, Bek«, murmelte sie. »Spiel uns etwas Lautes! Country oder Blues können wir heute Abend nicht gebrauchen.«
Rebekkah nickte und trat an die alte Jukebox. Über die Schulter warf sie Amity einen Blick zu, aber die Barkeeperin winkte den Männern, die in das Lokal gestapft kamen, und tat, als hätten sie beide nie ein privates Gespräch geführt.
»Kommt schon, Jungs! Die Trinkgeldgläser werden nicht von allein voll, und wir müssen eine neue Barkeeperin ausbilden. Das ist aber nicht möglich, wenn ihr keine Drinks bestellt.« Amity sprang auf die Theke, schwang die Beine darüber und ließ sich dahinter hinabgleiten. »Was darf’s sein?«
21. Kapitel
Byron saß mit Charlie und seinem Vater am Tisch. Eine Frau in bodenlangem Kleid, mit rabenschwarzem Haar und einer glutäugigen Ausstrahlung, die an Bettie Page erinnerte, schwebte durch den Raum. Am Tisch der beiden Männer blieb sie stehen.
»Du wolltest mich sehen, Charlie?« Ihre Stimme klang leicht heiser, das mochte allerdings auch an der Korsage liegen, die ihre Brüste einzwängte und so in die Höhe quetschte, dass sie aus dem tiefen V -Ausschnitt des Kleids zu springen drohten.
»Sei ein braves Mädchen und sing für uns!« Zerstreut tätschelte Charlie ihr das Hinterteil. »Ich kann die Stille nicht ausstehen.«
Mit einem scharfen Klick schaltete sich ein einziger Scheinwerfer ein. Der Vorhang vor dem Durchgang wurde beiseitegezogen, und drei tote Musiker traten hindurch, um sich auf der Bühne zu der Sängerin zu gesellen. Einer trug ein Cello, und die anderen beiden nahmen ihre Plätze am Klavier und am Schlagzeug ein.
»Also: Was bedeutet Graveminder?«, hakte Byron nach.
Charlie hob das Glas wie zu einem Trinkspruch, als das Mädchen mit der rauchigen Stimme zu singen begann. »Ah, genau das haben wir gebraucht. Nun also zurück zum Geschäft … Graveminder nennen wir die Frau, die die Toten daran hindert, Amok zu laufen, die Partnerin des Bestatters. Und Maylenes Nachfolgerin ist« – er neigte den Kopf, als denke er nach – »Rebekkah.«
Byron sah von Charlie zu seinem Vater. »Rebekkah?«
»Ja.« Charlie schnippte mit den Fingern.
Die Kellnerin kam und brachte eine dunkle Holzschatulle. Sie stellte sie vor Charlie hin, warf ihm einen Blick zu und wandte sich ab, als er weder etwas sagte noch ihre Anwesenheit auf andere Weise zur Kenntnis nahm. Während sie davonging, flüsterte die Sängerin so leise ins Mikrofon, dass es kaum zu hören war.
Charlie griff in seine Tasche, zog einen Schlüssel hervor und steckte ihn in das Schloss der Schatulle. »Die Graveminder sorgen dafür, dass die Toten in der Erde bleiben, oder sie bringen sie zu mir, wenn sie herumspazieren. Sie brauchen eine Neue, die Maylenes Platz einnimmt.« Er löste die Riegel auf beiden Seiten der Schachtel. »Abgesehen von Ihnen ist die Totenwächterin der einzige Mensch, der hierherkommen kann.«
»Warum sollte sie diese Aufgabe übernehmen?« Byron stand auf. »Oder
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