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Graveminder

Graveminder

Titel: Graveminder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Marr
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nicht kanntest, und du hast nicht mit meiner Rückkehr gerechnet.« Daisha drückte die schwelende Glut aus, bevor sie ernsthaft Schaden anrichten konnte. »Du hast es gewusst.«
    »Paul hat gesagt, in vielen Ländern gibt es immer noch arrangierte Ehen und Brautpreise, und du hast schließlich keinen Beitrag geleistet. Essen und Strom und … Kinder sind teuer. Wenn du hier bist, können wir uns kein Baby leisten.« Gail reckte das Kinn vor. »Wenn du weg bist, stehen wir ganz vorn auf der Warteliste für ein Baby. Paul will ein Kind, und ich werde alt.«
    »Und da wolltest du einfach noch einmal von vorn anfangen, wie?« Daisha sah ihrer Mutter in die Augen. Diese Frau hatte ihr das Leben geschenkt. Doch alles, was sie dort sah, war Ärger. »Er hat mir wehgetan, und dann hat er mich wie Abfall im Wald liegen gelassen … Er hat mich blutend zurückgelassen, und als ich dachte, ich hätte Hilfe gefunden, als ich dachte, die Leute von hier, die mich gefunden haben, würden mir helfen, haben sie mich umgebracht. Alles nur deshalb, weil du mich loswerden wolltest. Alles, weil Paul ein Kind will.«
    »Das verstehst du nicht.«
    »Da hast du recht«, flüsterte Daisha, »aber je länger ich wach bin, umso mehr begreife ich. Dich hier zu sehen, hilft mir. Es hilft mir, hier zu sein. Du hilfst mir jetzt schon, Gail, aber weißt du, wie du mir noch mehr helfen kannst?«
    »Du kannst nicht bleiben, aber ich werde … ich werde Paul verschweigen, dass du hier warst. Vielleicht könnte ich dir etwas Geld oder so geben.«
    »Nein.« Daisha legte die Stirn an die ihrer Mutter. »Ich brauche mehr von dir«, flüsterte sie.
    »Ich kann dir sonst nichts geben.« Gail zappelte und schlug nach Daisha. »Paul darf nicht erfahren, dass du zurück bist.«
    Als die Hand ihrer Mutter ihre Wange berührte, packte Daisha sie an beiden Handgelenken. Mit einer Hand hielt sie sie zusammen, und sie drückte fester auf das Bein ihrer Mutter. »Paul wird es merken, wenn er wiederkommt.«
    Daisha legte die Hand über den Mund ihrer Mutter und drückte zu, um die Schreie zu dämpfen. Dann beugte sie sich vor und biss ihr seitlich ein Loch in den Hals. Das Blut spritzte viel zu schnell hervor und verschmierte alles. Als Daisha den ersten Bissen geschluckt hatte, war Gails Oberteil schon völlig durchtränkt.
    Aber Daishas Kopf fühlte sich immer klarer an, und ihre Laune verbesserte sich, nachdem sie ihren Hunger gestillt hatte. Je mehr sie aß und trank, umso ungetrübter wurden ihre Gedanken. Hunger verwirrte sie, genau wie Angst dafür sorgte, dass sie davontrieb.
    Hier bin ich sicher, dachte sie. Einstweilen.
    Das Essen half, das Trinken half, und Worte halfen. Gail hatte ihr von allem reichlich gegeben.

23. Kapitel
    Während sie zum Tunnel zurückkehrten, versuchte sich Byron möglichst viele Einzelheiten einzuprägen. Hatte sich die Stadt verändert? Die Straßen, durch die sie gingen, sahen überhaupt nicht mehr so aus wie jene, durch die sie vermutlich vorher gekommen waren. Das Gebiet ringsum war eindeutig nicht modern, aber eine Kreuzung erinnerte ihn an eine Vorstadt aus den Jahren um 1950. Einige Häuserblocks waren in Epochen erbaut worden, die er nicht einordnen konnte, und die Bewohner passten nicht immer zur Umgebung: Junge Mädchen aus den Zwanzigerjahren und Frauen mit Schürzen wurden von Bergarbeitern aus einem anderen Jahrhundert und modernen Geschäftsleuten begleitet.
    »Ich brauche eine Karte, einen Stadtführer oder so etwas«, murmelte er. »Wie soll ich mich sonst je hier zurechtfinden?«
    »Es wird leichter«, versicherte William ihm.
    »Und wie lange dauert das? Seit wann kommst du hierher? Und wie oft?« An einer Kreuzung blieb Byron stehen. Zwei Frauen auf Hochrädern wie vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts fuhren vorüber. Die erste Frau lächelte ihnen zu, aber die zweite schien sie gar nicht wahrzunehmen.
    »Den größten Teil meines Lebens.« William rieb sich mit der Hand übers Gesicht. »Damals war ich achtzehn. Mein Großvater war der letzte Undertaker vor mir.«
    »Nicht dein Vater?«
    »Nein«, antwortete William. »Er war zu alt, oder vielleicht war ich alt genug. Schwer zu sagen.«
    Vor sich erblickte Byron den Tunneleingang. Darin zwinkerten ihm rote und blaue Lichter wie die Augen eines großen Tiers zu. In dieser grauen Welt wirkten die Farben des Tunnels wie ein Leuchtfeuer.
    »Deine Mutter und ich dachten schon daran, nicht zu heiraten, keine Kinder zu bekommen, die Bürde nicht an unser eigenes

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