Gray Kiss (German Edition)
dreht eine Runde. Wir treffen uns später in der Kirche.“
Zum ersten Mal hörte ich von Kraven keine Widerworte. Er sah mich mit einem fragenden Blick an, dann folgte er Connor, und sie verschwanden bald in den Straßen.
Ich beobachtete, wie sie davonzogen, und wieder einmal zermarterte ich mir das Hirn, was Connor damit gemeint hatte, als er von „Ablenkungsmanövern“ und „Spielchen“ gesprochen hatte. Wer versteckte sich? Wen meinte Connor?
Bishop nahm mich an der Hand, und schon sprühten wieder die Funken. Das holte mich aus meiner Nachdenklichkeit. Wir schauten einander tief in die Augen.
„Ich dachte, der Engel hätte dich“, flüsterte ich. „Ich hatte Angst, ich würde auch dich verlieren. Es wäre mir recht gewesen, wenn er sich jemand anderen geschnappt hätte, doch dass es Cassandra sein musste … Ich wollte nicht, dass sie stirbt.“
„Ich auch nicht.“ Er drückte meine Hand. „Komm, ich bring dich jetzt nach Hause.“
Mehr als ein Nicken brachte ich nicht zustande.
Es war seltsam, nach den Ereignissen der letzten Tage nach Hause zurückzukommen. Die vertraute Umgebung fühlte sich plötzlich nicht mehr vertraut an. Als wäre die Person, die hier ihr ganzes Leben verbracht hatte, weggezogen. Oder gestorben.
Auf der Türschwelle lag ein brauner Umschlag. Als ich ihn aufhob, sah ich, dass mit schwarzem Filzstift mein Name darauf geschrieben war.
Nervös blickte ich Bishop an. „Was könnte das sein?“
„Mach auf“, meinte er nur.
Ich riss den Umschlag auf und entnahm ihm ein kleines goldenes Medaillon, das an einer langen Kette hing, und einen Zettel.
„Was steht da?“, wollte Bishop wissen.
Was da stand, raubte mir den Atem. Ich hielt ihm den Zettel hin.
Samantha ,
das gehört dir. Betrachte es als Bezahlung dafür, dass du mir geholfen hast zu fliehen. Werd wieder normal. Einer von uns sollte die Chance dazubekommen .
Stephen
Bishop berührte das Medaillon in meiner Hand und sah mich an. „Darin ist deine Seele.“
Ich konnte kaum sprechen. „Ich habe ihm geholfen zu fliehen? Wirklich?“
Er schüttelte den Kopf. „Es war nicht deine Schuld. Du wolltest nur nicht, dass ich ihn verletze oder ihn töte. Ich schätze, das wollte er dir wiedergutmachen.“
Auch wenn Stephen immer noch Carlys Seele besaß - das war für mich der Beweis dafür, dass er eben nicht völlig böse war. Oder war er ein Super-Gray, der gerne ein reines Gewissen hatte?
Ich betrachtete das Medaillon. Genau das hatte ich mir die ganze Zeit gewünscht - ich wollte meine Seele wiederhaben. Damit mein Leben wieder annähernd normal verlaufen und ich endlich dem übersinnlichen Wahnsinn entkommen konnte, in den ich gestürzt war.
„Ich werde am Ende belohnt, und Cassandra musste sich opfern? Das finde ich irgendwie alles andere als fair.“
Bishop musterte mich. „Cassandra war sich darüber bewusst, was sie auf ihrer Mission erwartet. Sie war sehr mutig, aber auch unglaublich dumm. Ich wünschte, sie hätte uns reinen Wein eingeschenkt. Zusammen hätten wir vielleicht eine andere Lösung finden können.“
Mir schoss durch den Kopf, wie gerne sie Roth gemocht hatte. „Sie hatte ihre Geheimnisse, und Geheimnisse sind manchmal gefährlich.“
Bishop suchte meinen Blick. „Manchmal muss man Geheimnisse haben.“
„Sie und Roth hatten sich ineinander verliebt.“
„Ein Engel und ein Dämon - wie deine Eltern.“
Ich musste blinzeln, als ich mich daran erinnerte, welches Ende es für sie genommen hatte. Beinahe so wie bei Roth und Cassandra. Nur damals hatte niemand Nathan davon abgehalten, Anna ins Schwarz zu folgen. „Hättest du probiert, sie auseinanderzubringen, wenn du etwas davon geahnt hättest?“
„Oh, ich wusste es.“ Auf meinen erstaunten Blick hin umspielte ein Lächeln seinen Mund. „So wie sich die beiden angesehen haben, war das doch offensichtlich.“
Ich seufzte. „Man hätte sie getrennt, wenn es herausgekommen wäre - so wie damals meine Eltern.“
„Vielleicht“, mutmaßte er. „Aber vielleicht gibt es auch inzwischen Ausnahmen von der Regel im wichtigen System des Gleichgewichts der Kräfte. Vielleicht müsste es häufiger so etwas geben wie Cassandra und Roth - oder wie deine Eltern -, damit die Grenzen fallen können.“
Fallende Grenzen … Ein schöner Gedanke. Ich betrachtete wieder das Medaillon. Dann schaute ich Bishop an. „Hast du eigentlich eine Ahnung, wie genial du bist?“
Er neigte den Kopf zur Seite. „Was meinst du damit?“
Mein Herz
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