Gray Kiss (German Edition)
Mall vor zwanzig Jahren eröffnet wurde. Wenn die Sonne hereinschien und das Glas zu glitzern begann, war das einfach nur zauberhaft.
Ich umklammerte das Geländer und schaute nervös nach unten. Trotz meines üppigen Frühstücks knurrte mein Magen schon wieder. Sonntags war am meisten Betrieb in der Mall. Tausende von Leuten waren heute hier unterwegs, und ich schwöre, ich konnte die Anwesenheit, die Wärme und den Geruch jeder einzelnen Seele spüren.
Lange konnte ich es hier nicht aushalten. Ich hatte jetzt schon den unbändigen Drang, fliehen zu müssen.
„Du bist hier.“
Stephens Stimme durchbrach meine Grübeleien. Ich erstarrte und drehte mich langsam um. Keine zwei Meter entfernt lehnte er links von mir am Geländer.
Das war echt. Er war hier. Endlich hatte ich ihn gefunden.
Oder besser gesagt - er hatte mich gefunden.
Bleib ruhig .
Aber dieser Vorsatz war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Wenn Stephen Keyes in der Nähe war, konnte ich nicht ruhig bleiben.
Vor nicht allzu langer Zeit war er für mich der heißeste Typ gewesen, den ich je gesehen hatte, in Trinity oder sonst wo. Schwarze Haare, karamellfarbene Augen mit exotischem Einschlag, denn seine Mutter stammte aus Hawaii.
Stephen ging nur mit den hübschesten Mädchen aus. Ich hatte mich nie für eins von ihnen gehalten. Deswegen zog ich es vor, ihn aus der Ferne zu bewundern und mein Herz davor zu bewahren, das es zertrampelt wurde. Doch dann küsste er mich. Und das hatte mich mehr als nur mein Herz gekostet.
Für einen flüchtigen Moment hatte ich wirklich gedacht, dass der Junge, in den ich schon so ewig verknallt war, sich in mich verliebt hatte. Aber stattdessen handelte er im Auftrag meiner Tante. Er sollte meine Seele stehlen und dadurch meine Nexus-Fähigkeiten freisetzen, die sie für ihre Zwecke missbrauchen wollte.
Ich hatte kein Interesse an jemandem wie Stephen, der mich belog und benutzte und mir etwas so Wertvolles stehlen konnte. Nie wieder würde ich auf ihn hereinfallen. Bishop hatte geschworen, mir zu helfen, und ihm glaubte ich - trotz meiner vielen Zweifel und Fragen, die seine Person betrafen. Aber der einzige Mensch, dem ich wirklich voll und ganz vertraute, war der, den ich sah, wenn ich in den Spiegel schaute.
Ich umklammerte das Geländer fester, da eine Gruppe von Teenagern vorbeilief, viel zu nah. Der Duft ihrer Seelen ließ meinen Hunger auflodern.
„Hier wären wir also“, meinte Stephen.
„Das ist nah genug“, warnte ich ihn, sowie er näher kam.
Er blieb stehen. „Ich habe nicht vor, dir etwas zu tun. Ich bin nicht der Typ, der mit einem scharfen goldenen Dolch durch die Gegend rennt, klar?“
„Nein. Du bist der Typ, der meiner Tante geholfen hat, mich beinahe zu töten.“
„Ich denke nicht, dass sie dich umgebracht hätte.“ Er hatte dunkle Ringe unter den Augen und sah aus, als hätte er tagelang nicht geschlafen. Ähnliche Ringe hatte ich am Morgen unter meinen Augen entdeckt, nur verdankte ich sie meinen Albträumen und dem unruhigen Schlaf. „Außerdem ist sie tot.“
Vor mir tauchte das Bild auf, wie das Schwarz meine Tante verschlang, nachdem Carly sie mit Bishops Dolch erstochen hatte. Widerlich. „Bist du etwa traurig darüber?“
Grimmig schaute er mich an. „Nein.“
Ich wollte ihn nicht aus den Augen lassen, falls er beabsichtigte, sich in einer Rauchwolke aufzulösen oder so. Endlich hatte ich mein Ziel erreicht. Eine Woche lang hatte ich die Stadt nach ihm abgesucht, und jetzt stand er plötzlich vor mir. „Ich möchte nicht über meine Tante sprechen, Stephen. Ich bin nur aus einem einzigen Grund hier.“
„Deine Seele.“
„Und die von Carly. Gib sie mir zurück.“
Er sah mit angespannter Miene nach unten, zum Gastronomiebereich. „Schau sie dir an. Kaum zu glauben, dass sie alle nicht wissen, was in diesem Moment in Trinity vor sich geht. Direkt vor ihren Nasen. Menschen.“ Er spuckte das Wort mit kaum verhohlenem Ekel aus.
Stephen versuchte offensichtlich, das Thema zu wechseln. Ich musste Ruhe bewahren, durfte nicht zu viel auf einmal verlangen. Denn er saß eindeutig am längeren Hebel, auch wenn ich ihn das nicht unbedingt spüren lassen wollte. „Du bist auch ein Mensch.“
„Gewesen.“
„Und jetzt bist du mehr als das, denkst du?“
Er beantwortete meine Frage nicht. Stattdessen blickte er mich an. „Du warst schon vor all dem hier mehr als ein Mensch.“
Ich bemühte mich, keine Miene zu verziehen. Er wusste, dass ich ein Nexus war,
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