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Gray Kiss (German Edition)

Gray Kiss (German Edition)

Titel: Gray Kiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Rowen
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Ladengeschäfte auf vier Stockwerken, Einkaufszentrum und Touristenattraktion in einem. In Trinity gab es mehrere Malls, aber diese war das Kronjuwel, mitten in der Innenstadt. Mit Carly war ich gerne hier gewesen. Wir gingen endlos lange shoppen, aßen in der Futtermeile im Untergeschoss zu Mittag - damals, als wir beide noch völlig normalen Appetit hatten. Wir schlugen uns die Bäuche voll mit Hamburgern, chinesischem Essen, Souvlaki, Pommes, egal was. Carly beschwerte sich immer über ihren schlechten Stoffwechsel und darüber, dass ich essen konnte, was ich wollte, ohne auch nur ein Gramm zuzunehmen. Im Gegenzug bestätigte ich ihr, dass sie toll aussah - was sie auch immer tat. Sie wollte es nur nicht wahrhaben. Ich hätte ihr sagen sollen, dass ich sie um ihre Figur beneidete.
    Doch dann handelte ich mir Ärger in der Mall ein. Nach der Scheidung meiner Eltern vor sechs Monaten fing ich mit Ladendiebstahl an. Das war, wie die Vertrauenslehrerin es formulierte, ein „Schrei nach Zuwendung“.
    Es war nie viel, was ich mitgehen ließ, dennoch verschaffte es mir einen Kick, wenn ich damit davonkam. Dass ich eben nicht perfekt war und brav und eben doch mal über die Stränge schlug - ganz anders, als man es mir beigebracht hatte. Statt mich darauf zu konzentrieren, eine gute Schülerin zu sein und nur Einsen zu schreiben, klaute ich Lippenstift. Oder einen Schal. Ein Lederportemonnaie. Ich wusste, dass es falsch war - und schob die Sachen unter meinem T-Shirt in die Tasche. Ich versuchte auch gar nicht, es damit zu rechtfertigen, dass ich nur Dinge mitgehen ließ, die ich mir nicht leisten konnte. Mein Vater hatte wegen der Scheidung und seines Umzugs nach Europa ein so schlechtes Gewissen, dass der Unterhalt für mich, der monatlich per Scheck mit seinem in Gold eingeprägten Firmenlogo bei uns eintraf, so hoch war, dass ich mir nicht einmal einen Teilzeitjob besorgen musste. Ich meine, ich konnte mir davon kein Auto leisten oder andere große Anschaffungen, aber für die notwendigen Kleinigkeiten hatte ich immer genug Geld.
    Geschnappt zu werden, war in vielerlei Hinsicht sehr demütigend gewesen. Ich wurde zwar nicht in Handschellen abgeführt, dennoch wurde ich in Anwesenheit vieler Leute aus meiner Schule aus der Mall geleitet. Der Bulle war echt fies zu mir und behandelte mich wie eine Kriminelle und verzogene Göre. Eine Stunde saß ich im Polizeiwagen, und es gelang mir nur durch extreme Willenskraft, eine Angstattacke zu vermeiden, die mich in geschlossenen Räumen oft überfiel. Ich hielt die Augen geschlossen, atmete tief ein und aus und stellte mir vor, ich sei ganz woanders.
    Ich wurde zu gemeinnütziger Arbeit verdonnert. Ich arbeitete in der Küche einer Obdachlosentafel und hatte dort die Gelegenheit, mit Menschen in Kontakt zu kommen, denen es wirklich schlecht ging. Hier begriff ich, wie gut ich es eigentlich hatte. Ich hatte ein Zuhause, ein Dach über dem Kopf und eine Mutter, die mich liebte. Ich begegnete obdachlosen Menschen, die nichts und niemanden hatten.
    Es war die wichtigste Lektion, die ich in meinem Leben gelernt habe. Dankbar sein für das, was man hat, denn man kann es jederzeit verlieren. Manchmal zieht einem das Schicksal den Boden unter den Füßen weg. Ob man darauf vorbereitet ist oder nicht - wir stürzen alle unterschiedlich.
    Inzwischen bereute ich meine Karriere als Ladendiebin, und nicht nur, weil man mich erwischt hatte. Mir war ja bewusst, dass ich etwas Unrechtes getan hatte, noch dazu ohne triftigen Grund. Es gab wirklich keinen triftigen Grund dafür, dass ich stehlen musste.
    Aber ich hasste diese Mall immer noch. Mittlerweile shoppte ich immer in der Mall am nördlichen Ende der Stadt. Dort kam man zwar nur sehr viel umständlicher hin, doch wenigstens war das kein Ort meiner Schande.
    Neben Macy’s und anderen Läden, die mich früher magisch angezogen hatten, befanden sich die Rolltreppen, die in den vierten Stock fuhren. Wegen meiner Klaustrophobie mied ich Aufzüge. Ich konnte ja nicht mal Rollkragenpullover ertragen!
    Und garantiert brauchte ich im Moment nicht mehr Aufregung als bereits vorhanden.
    Die Galerie bildete einen Kreis um die offene Mitte des vierten Stocks. Von hier aus konnte man runter in den Gastronomiebereich im Untergeschoss gucken, knapp dreißig Meter tiefer. Ein riesiger Kronleuchter aus Kristallvögeln hing an der Glasdecke des Einkaufszentrums, ein Kunstwerk von einem echten Künstler, das sicher ein Vermögen gekostet hatte, als die

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