Gray Kiss (German Edition)
schließlich eine Modelagentur.“
„Ich bin kein Model.“ Soweit mir bekannt war, waren fehlende Körpergröße und ein Durchschnittsgesicht keine guten Voraussetzungen für diese Karriere.
Jetzt war Eva verwirrt. „Was willst du denn dann hier?“
„Ich suche Jordan.“
„Okay. Wie gesagt, sie ist nicht mehr hier. Ich würde vermuten, sie ist in der Schule.“
Ich stellte mich so hin, dass ich Eva in die Augen schauen konnte. Tief. Und ich zapfte den Teil von mir an, der es mir gestattet, die Gedanken von Dämonen auszuspionieren. Das machte einen Nexus so gefährlich - ich konnte die unausgesprochenen Wahrheiten eines Dämons oder Engels gegen sie verwenden. Die Geheimnisse von Himmel und Hölle waren nur hinter ihren Blicken verborgen. Mit meiner Fähigkeit wollte ich herausfinden, wer Eva war, was sie plante und was wirklich mit Jordan geschehen war.
Es gab da nur ein Problem.
Ich konnte ihre Gedanken nicht lesen.
Obwohl sie keine Blockade eingerichtet hatte. Da war - überhaupt nichts.
Offensichtlich war sie kein Dämon. Sondern ein Mensch.
Ein Mann eilte den Gang herunter.
„Joe“, rief sie und ging zur Tür. „Hör mal, das war ein tolles Frühstücksmeeting! Das müssen wir bald mal wieder machen, was meinst du?“
„Gerne, Eva.“ Er ergriff ihre Hand und schüttelte sie.
Sie entzog ihm nicht seine glücklichen Emotionen und trieb ihn so in den Selbstmord. Natürlich nicht. Diese Frau war ein Mensch. Hundert Prozent.
Jordan irrte sich. Wahrscheinlich war sie selbst schon darauf gekommen und zurück in die Schule gegangen.
Ich stieß einen lauten Seufzer der Erleichterung aus.
„Ich muss los“, sagte ich.
„Und was ist mit der Modenschau?“, fragte Eva.
„Kein Interesse, sorry.“ Dann floh ich aus dem Büro von Divine Model Management. Mein Herz klopfte wie wild, ich hatte allerdings eine Sorge weniger. Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass Jordan bei ihrer Suche nach der Wahrheit etwas Schlimmes zugestoßen war.
Meine Erzfeindin hatte zwar wohl nicht die gewünschten Informationen erhalten, doch immerhin war sie noch am Leben. Wer hätte gedacht, dass mich ihr Wohlergehen eines Tages so erleichtern würde?
Mit leichtem Herzen und frischem Optimismus machte ich mich auf den Weg zur nächsten Bushaltestelle und bog um die Ecke.
„Samantha“, begrüßte mich da eine mir bekannte Stimme.
Ich hielt den Atem an. Da stand Stephen, als hätte er auf mich gewartet.
„Du?“ Sofort strömten unterschiedlichste Emotionen auf mich ein. Ich freute mich, dass er noch lebte und - hatte Angst, weil er noch lebte! Gestern Abend war er so sicher gewesen, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte - und ich hatte keinen Grund dafür gesehen, an seiner Annahme zu zweifeln. „Es geht dir gut. Ich dachte, gestern Abend … Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen.“
„Und doch bin ich hier.“ Er kam näher. Er trug einen knielangen Mantel aus schwarzer Wolle, der gut zu seiner Haarfarbe passte. Seine karamellfarbenen Augen suchten die Umgebung ab, bevor sie schließlich mich fixierten. Autos fuhren an uns vorbei. „Ich hab was für dich. Etwas, das du brauchst. Ich hätte es dir schon längst geben sollen.“
Meine Seele! Er hatte meine Seele und wollte sie mir zurückgeben!
„Danke, Stephen“, presste ich hervor. „Wo ist sie?“
„Hier entlang.“ Er deutete mit dem Kopf auf einen Wagen, der um die Ecke geparkt war.
Ich folgte ihm misstrauisch, doch voller Hoffnung. Er öffnete die Beifahrertür und zog etwas heraus, das in eine Decke eingewickelt war. Ich ging mit klopfendem Herzen näher ran.
„Ist das meine Seele?“, flüsterte ich.
Er packte den Gegenstand aus. Gespannt wartete ich, was da zum Vorschein treten würde, allerdings war es nur ein Stofftuch. Das noch dazu seltsam roch.
Ich runzelte die Stirn. „Was ist das?“
„Etwas, das du brauchst.“ Dann packte er mich am Arm und hielt mich mit eisernem Griff fest.
Unwillkürlich versuchte ich, mich zu wehren, sowie er mir den Stofflappen auf Mund und Nase presste. Ich griff nach meinem Dolch und zog ihn aus seinem Etui, doch Stephen umklammerte mein Handgelenk, bevor ich ihn zum Einsatz bringen konnte. Stephen verstärkte seinen Griff, und als Nächstes sah ich Sternchen und hörte ein lautes Krachen. Mein Schmerzensschrei wurde durch den Stofflappen gedämpft, dann fiel mein Dolch auf den Bürgersteig.
Stephen war sehr stark. Er hatte mir das Handgelenk gebrochen, als wäre es ein dünnes
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