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Grayday

Grayday

Titel: Grayday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hari Kunzru
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denn als sie das nächste Mal die Augen aufschlug, zeigte der Wecker 1.08 Uhr, und der Lärm aus der Bar war verstummt. Sie schaltete die Nachttischlampe aus und drehte sich auf die Seite. Draußen auf dem Korridor hörte man einen gedämpften Bums und Leute, die diskutierten. Sie konnte nicht hören, was sie sagten, hatte aber das Gefühl, einer davon sei Rajiv.
    Unter ihrem Fenster lachte eine Frau. Sie dachte an Rajiv und Guy und andere Männer, an Dinge, die sie ihr gesagt oder gegeben hatten, an Dinge, die zu tun sie von ihr verlangt hatten. So viele Tauschgeschäfte. Welche Kompliziertheit. Sie würde bald in ihrem Büro in London anrufen und sagen, dass sie zurückkäme. Es wäre Zeitverschwendung, wenn sie bliebe.
    Am Morgen räumte sie ihre Sachen vom Badezimmerbord, packte ihren Koffer und ging hinunter in den Speisesaal, wo sie sich einen Tisch ganz allein am Fenster nahm. Sie sägte gerade an einem Pampelmusenschnitz herum, als sie einen Wagen vor dem Hotel halten hörte. Eine oder zwei Minuten später kam Vivek hereingerannt und fragte, ob jemand Iqbal gesehen habe. Kurz darauf eilten Crewmitglieder umher, riefen sich gegenseitig an und verrieten eine Aufgeregtheit, als würde ihnen jeden Moment der Himmel auf die Köpfe fallen. Leelas Mutter war angekommen.
    Gaby schob die Pampelmuse beiseite und ging zur Rezeption, um einen Blick auf die Frau zu werfen, die eine solche Panik auslösen konnte. In dem kleinen, mit Kuriositäten voll gestopften Raum wimmelte es von Menschen, und so war das Erste, was sie wahrnahm, das Gepäck, eine zwei Meter hohe Vuitton-Pyramide, deren Basis ein riesiger Überseekoffer und deren Spitze ein winziger Kosmetikkoffer bildete. Deren Besitzerin war in ihren Fünfzigern, recht groß und früher wohl einmal schön gewesen, aber die Chirurgie hatte ihr Gesicht in eine straffe Maske verwandelt, die mit tätowierten Augenbrauen und einer völlig unpassenden Stupsnase versehen war. Ihr langes schwarzes Haar war rot gesträhnt, und bekleidet war sie, soweit Gaby sehen konnte, wie ein halbwüchsiger Transvestit mit Jeans aus Schlangeniederimitat und einem winzigen T-Shirt, auf dem vorn quer rüber das Wort Angel in Pailletten abgesetzt war. Während sie Iqbals übertriebene salams entgegennahm, lächelte sie theatralisch. Die Wirkung war vampirisch, lasterhaft.
    Gerade als Iqbal zu einer schwülstigen Willkommensrede ausholen wollte, hüpfte Leela Zahir zum Erstaunen aller die Treppe herunter.
    »Ma!«
    Es war ein großer Auftritt. In ein stahlblaues salwar kameez gekleidet, war sie kaum wiederzuerkennen. Sie hatte nichts mehr gemein mit der verzagten Kettenraucherin, die Gaby an dem See hatte herumwandern sehen. An diesem Morgen sah sie wie ein Filmstar aus, Schönheit von Kopf bis Fuß, mit Understatement dargeboten. Zuerst schien die Truppe verblüfft und unsicher, aber als ihre Heldin in die Arme ihrer Mutter eilte, brachen alle in spontanen Beifall aus. Sie würden weiterarbeiten! Der Film würde fertig werden!
    Gaby beobachtete, wie die beiden Frauen der Menge ihr Wiedersehen vorspielten, Iqbal sich die Hände rieb und Rocky Prasad und sein Kameramann sich in den Armen lagen wie Schuljungen, deren Mannschaft gerade einen Lauf siegreich beendet hat. Leela klammerte sich an den Hals ihrer Mutter und schmiegte sich an sie wie ein Kind.
    »Ma, du siehst so müde aus. War es eine schreckliche Reise?«
    »Beti, ich kann dir gar nicht sagen, wie.« Mrs. Zahir hob ihre Stimme ein wenig, so dass alle teilhaben konnten. Sie streichelte Leela die Wange, und ihr unnatürlich glattes Gesicht zeigte eine gewisse angestrengte Heftigkeit, die der Überrest eines Ausdrucks von Zärtlichkeit hätte sein können. »Alles ist schrecklich. Sogar in der ersten Klasse ist es schrecklich. Aré! Wenn man sich beklagt, sagen sie nur, Entschuldigung, dies ist abgestürzt, jenes ist abgestürzt. Erschreckend, wie abhängig wir alle von diesen Computern sind. Wirklich.«
    »Oh, Mummy.«
    »Aber du bist krank gewesen. Man hat mich angerufen und mir Geschichten von stechenden Insekten, verlorener Stimme und so weiter erzählt.«
    »Ich habe mich so elend gefühlt, Mummy. Aber als ich hörte, du kämst hierher, ging es mir viel besser. Jetzt, wo du da bist, werde ich wieder drehen können.«
    »Es freut mich, das zu hören.«
    »Madam, auch ich bin erfreut«, sagte Iqbal, rollte mit den Augen und kehrte seine Handflächen zum Himmel.
    »Iqbal- saab, könnten Sie wegen dieser Koffer etwas

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