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Grayday

Grayday

Titel: Grayday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hari Kunzru
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richtige Antwort zu sein.
    »Es ist ein emotionaler Augenblick für Gianni, wie Sie sehen«, sagte Frau Becker. »Und für mich ebenfalls. Wir haben uns so sehr bemüht, PEBA zur Realität werden zu lassen. Und nun ist es real, eine funktionierende Institution. Nicht mehr nur Papier.«
    »Darauf sollten wir anstoßen«, schlug Yves vor. Er und Frau Becker und Guy und Bocca erhoben ihre Gläser, und es schien Guy, dass einen Moment lang unter der Glaskuppel des »Seraphim« totale Übereinstimmung zwischen ihnen herrschte, ein Augenblick, in dem alle Kanäle wunderbarerweise frei waren.
    Das Hauptgericht kam, Speisen, die wie Keilschriftzeichen auf übergroßen weißen Tellern angerichtet waren. Guy war der Meinung, er habe mehr Fisch bestellt. Bocca machte sich daran, ein Vögelchen zu zerlegen, eine Wachtel vielleicht, winzige Fleischbröckchen mit den Zinken seiner Gabel herauszupopeln und eines nach dem anderen in seinen Mund zu befördern. Seine Art zu essen hatte etwas Grausames, etwas Mechanisches an sich. Guy musste weggucken. Eine Zeit lang verbrachte er damit, Fisch und Grünzeug durch einen Schnörkel gelber Soße zu schieben, dann winkte er dem Kellner mit der leeren Weinflasche, der herbeischwebte und sie durch eine volle ersetzte. Inzwischen hatten Monika und Yves sich dem Thema Amerika zugewandt.
    »Wir müssen bei ihnen Unterricht nehmen«, sagte sie gerade. »Sie verkaufen sich dermaßen gut über ihre Medien. Alles Amerikanische ist das Größte und Beste. Sie erzählen uns etwas, und wir glauben es, selbst wenn es Mist ist wie ihre Autos.«
    »Oder das Essen«, fügte Bocca hinzu und zermalmte ein zartes Knöchelchen zwischen seinen Zähnen.
    Yves nickte zustimmend. »Sogar die schlechten Dinge in Amerika sind stets die schlechtesten. Ihre Städte sind die größten, schmutzigsten und gefährlichsten. Wenn man ihnen erzählt, wie Paris ist, glauben sie einem nicht. Sie mögen es nicht hören, verstehen Sie? Es ist wie ein frommer Glaube.«
    »Oder Rom«, sagte Bocca.
    »Oder der Kaffee«, sagte Guy, der nur halb zugehört hatte.
    »Aber da ist die Wirtschaftsmacht von Hollywood! Es ist unbedingt erforderlich, dass wir in Konkurrenz treten! Europa braucht seine eigene Traumfabrik! Nicht aus Eitelkeit. Aus wirtschaftlichen Gründen. Dem Kommissar Papadopoulos habe ich das viele Male gesagt. Wir brauchen ein Programm zur Finanzierung der Förderung positiver Bilder von Europa durch alle Medien. Durch Kino, Fernsehen, Comics, alles. Im Moment ist es wie im Kalten Krieg, und wir kämpfen nicht einmal.«
    »Aber«, sagte Bocca, »auf diesen Gebieten gibt es bereits gute Arbeit.«
    »Sicher, aber bitte, Gianni, ich glaube nicht, dass klassische Musik und Fernsehdramen über die Römer ausreichen. Die Förderung des kulturellen Erbes ist die eine Sache. Diese Auseinandersetzung haben wir gewonnen. Wir sind die Ältesten, darüber gibt’s keinen Streit. Es ist die Jugend, die wir überzeugen müssen. Hip-Hop-Gangsterrapper müssen europäische Autos fahren. Sie müssen mit europäischen Revolvern schießen!«
    »Das tun sie ja bisweilen«, erklärte Guy.
    »Dies ist Guys Zuständigkeitsgebiet«, erinnerte Yves sie.
    »Selbstverständlich«, strahlte sie. »Und ich bin sicher, Sie haben dazu viele Einfälle. Ich habe letzthin ein Schriftstück herumgehen lassen, in dem die Schaffung und Förderung eines Gemeinschaftsmaskottchens betrieben wird. Drüben haben sie Captain America und Colonel Sanders und so weiter. Und was haben wir? Aber wirklich, ich schweife ab. Kultur ist natürlich nicht meine Domäne. Mehr ein Hobby. Wir sind hier zusammengekommen, um Ihre Vorstellungen über PEBA zu hören, stattdessen rede ich so viel über diese anderen Dinge. Ich bin sehr aufgeregt wegen allem, was Yves mir bisher erzählt hat, aber so viel ist es gar nicht. Ich habe gedacht, ob Sie uns wohl einen Vorgeschmack geben können?«
    »Mit Vergnügen«, sagte Guy und setzte sich auf seinem Stuhl zurecht. Es war der Moment, auf den er gehofft hatte. Sein Herzschlag hatte sich auf ein erträgliches Niveau verlangsamt. Er war vorbereitet. Unter dem Tisch befanden sich seine Laptoptasche und eine Mappe mit Mustern und Prospekten. Yves schaute ermutigend zu.
    »Ich denke, die beiden Dinge hängen zusammen«, begann er. »Die Idee, für Europa zu werben, es als einen hochmodernen Kontinent darzustellen, stand zentral im Blickpunkt unserer Überlegungen in der Agentur.« Er teilte vier Umrisskarten von Europa aus. Sie trugen die

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