Grayday
Detail?«
»Wie bitte?«
»Wenn Sie ins Kino gehen, woran erinnern Sie sich? An die Geschichte oder an so verrücktes Zeug wie die Nummer, die der Held wählt, um seine Mom anzurufen?«
Arjun überlegte einen Moment. »An die Geschichte.«
»Na, dann brauchen Sie sich keine großen Sorgen zu machen. Sie schneiden sehr viel besser ab als die meisten von uns. Wie dem auch sei, Sie kommen mir sachlich vor, zumindest nach außen. Würden Sie sagen, dass Sie sachlich sind?«
Das war schwieriger zu beantworten. Er zögerte. Sie warf die Hände in die Höhe.
»Okay, okay. Existentielle Frage. Unberechenbar. Wissen Sie, allmählich bedauere ich, dass ich den Fragebogen überhaupt herumgeschickt habe. Verstehen Sie mich nicht falsch, Arjun, Sie scheinen mir ein netter Kerl und so weiter zu sein, aber manche von den E-Mails, die ich kriege – du lieber Himmel, ganz schön verzwickt.«
»Sie meinen also, mit mir ist alles in Ordnung. Obwohl ich doch wohl recht gehe in der Annahme, dass Sie nicht medizinisch ausgebildet sind?«
»Medizinisch ausgebildet? Mann, beruhigen Sie sich. Ich hab’s einfach von irgendeiner Website runtergeholt. Über was sind Sie denn eigentlich so beunruhigt? Wer kann schon sagen, was normal ist und was nicht? Sie sind doch glücklich, oder?«
»Ja.«
»Na dann«, sagte sie mit entschiedener Miene, »halten Sie verdammt noch mal die Klappe.«
Er machte ein erschrockenes Gesicht. Sie begann zu lachen. Kurz darauf lachte er auch.
C hris’ Entscheidung, den dusseligen Inder unter ihre Fittiche zu nehmen, hatte keinen rationalen Grund. Sicher, über diese Asperger-Geschichte hätte sie sich totlachen können. Während jeder andere Macho-Idiot in der AV zu beweisen versuchte, wie interessant er sei, war dieser niedliche, ehrliche Junge nur über seine Gesundheit beunruhigt. Seine Buchstabengläubigkeit (tatsächlich war er irgendwie pedantisch – vielleicht hatte er ja Asperger) war rührend. Außerdem war das eine Form von Direktheit, und Direktheit war für Chris etwas Gutes. Und wenn er sich auch noch schlechter anzog als die meisten Computertypen und einen mickrigen Schnurrbart auf seiner Oberlippe hatte, vorzeigbar war er schon. Er war zum Beispiel groß und hatte schöne Haut. Und da war noch etwas: eine gewisse Verschlossenheit. Er benahm sich, als habe er etwas Wichtiges laufen, als herrsche auf einer Frequenz seines Lebens jenseits des sichtbaren Spektrums große Erregung. Wenn sie ins Kino ging, neigte Christine dazu, sich mehr auf Details als auf die Handlung zu konzentrieren, aber Geheimnisse machten ihr Spaß. Es machte ihr auch Spaß, an Menschen herumzubasteln, sie auseinander zu nehmen und dann wieder zusammenzusetzen. Und so fällte Chris zwei Entscheidungen, als sie nach dem Spiel zum Parkplatz spazierten: sich mit Arjun abzugeben und hinter sein Geheimnis zu kommen und wirklich und wahrhaftig zu versuchen, dieses ganze Asperger-/nicht-Asperger-Spielchen aufzugeben. Das erinnerte sie allmählich fatal an letztes Jahr, als alle bei Virugenix auf ein System fixiert waren, wonach dein Persönlichkeitstyp je nach Vorliebe für die frühen oder die späten Beatles klassifiziert wurde.
Eine Gruppe der Spieler fuhr in die Innenstadt, und sie und Arjun landeten in einer Bar und teilten sich mit ein paar von ihren Microsoft-Freunden einen Krug schlechte Margaritas. Die Unterhaltung kreiste um die üblichen Sachen: Wohnungen, Jobs, wohin man in Urlaub fuhr. Sie erzählte Arjun in Kurzfassung ihr Leben (Familie in New Jersey, Collegejahre in Stanford, habe immer schon Programmiererin werden wollen, verrückt für ein Mädchen, aber was soll man machen) und erhielt ein paar oberflächliche Informationen über ihn. Er war, wie sie vermutet hatte, mit einem dieser Sklavenvisa ins Land gekommen und wurde mit einem Bruchteil dessen bezahlt, was es Darryl gekostet hätte, einen amerikanischen Ingenieur einzustellen. Sie ließ beiläufig fallen, was für ein Arschloch Grant in ihren Augen sei mit seinen Mondgesteinbröckchen und seinem ewigen Geseire von wegen: Ich war in dem Wired- Ghostbusters-Artikel. Arjun schien das richtig peinlich zu sein, so als wolle er nichts Schlechtes über seinen Chef sagen. Ihm schien seine Familie zu fehlen, vor allem seine kleine Schwester. Von ihr hatte er ein Foto in der Brieftasche. Seine Schwester. Chris neigte nicht zu jungmädchenhaften Gefühlsausbrüchen, aber das einzig mögliche Wort dafür war süß. Als sie ihn fragte, was er mache, wenn er nicht
Weitere Kostenlose Bücher