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Grayday

Grayday

Titel: Grayday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hari Kunzru
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gab ein Interview mit dem Chef eines Transportunternehmens, der nicht wusste, wo seine Lkws waren, und mit einem schmuddeligen Computerjournalisten, der sagte, er habe schon immer gemeint, so was würde mal passieren. Sie zeigten ein Bild von dem kleinen tanzenden Mädchen, das offenbar als »indischer Liebling« bekannt war. Der Journalist äußerte die Vermutung, es handle sich vielleicht um eine Art Werbetrick.
    Guy machte den Fernseher aus. Im Büro herrschte Stille, alle Energie und Emotion war entwichen. Er schaltete die Alarmanlage ein, verriegelte die Tür und fahr nach Hause. Als der Fahrer eine Unterhaltung anzufangen versuchte, schloss er die Trennscheibe. Selbst der Anblick der im Citysonnenuntergang leuchtenden Glaswände von In Vitro konnte seine Stimmung nicht heben. Auf der Küchenarbeitsplatte lag ein Zettel von Gaby. Es hat sich so ergeben. Firma will, dass ich nach Schottland fahre. Sie wisse nicht, wie lange sie fort sein werde.

E in Virus? Mein Gott! Was erzählst du mir da, yaar?«
    Oben auf dem Pali Hill wurde Zee TV eilig und leise gedreht. Das Klickklack von Fingernägeln auf dem Handyrücken, wonach das Dienstmädchen den Fortgang der vielen Gespräche ihrer Herrin beurteilte, verstummte abrupt. Als das Dienstmädchen Warnsignal Nummer zwei bemerkte (die mit chaats gefüllte Hand hielt Unheil verkündend zwischen Schüssel und Mund inne), raffte es seinen Sari und stahl sich diskret hinaus. Die Explosion erfolgte Sekunden später.
    »Behan-chod! Was für einen Dreck erzählst du mir? Meine Tochter hat wen infiziert …?«
    Es dauerte einige Stunden, bis Mrs. Zahir dieses ganze Theater um Computerkrankheiten verständlich gemacht werden konnte. So eine Gemeinheit! So ein Durcheinander! Als sie es endlich begriffen hatte, dauerte es wiederum einige Stunden, bis sie sich von dem Schock erholt hatte. Nach einer Ruhepause in einem abgedunkelten Zimmer tauchte sie wieder auf, stärkte sich mit paan und süßem Tee und begann die Lage in die Hand zu nehmen. Ihr erster Anruf galt einem sehr lieben Freund, der zufällig eine Kolumne im Magazin Stardust hatte. Der zweite galt ihrer Astrologin. Als sie eine Liste mit Ratgebern (geistigen und weltlichen) und Medienfirmen (Verlage und Rundfunk) abgehakt und den ersten der internationalen Kabelnachrichtendienste am Hals hatte, zeichnete sich allmählich eine klare Linie ab.

    »Derart bestohlen zu werden«, schluchzte die gramgebeugte Mutter der Künstlerin, »ist zuuu schrecklich. Wir sind tief erschüttert. Meine Tochter geht wirklich sehr sorgsam mit ihrer Kreativität um. Dass jemand kommt und sie zu kriminellen Zwecken missbraucht, ist schockierend, wirklich.«
    Maa Zahir appellierte sodann an den Polizeipräsidenten, »einen alten Freund der Familie«, die Gesetzesbrecher sofort dingfest zu machen. Wir sagen, passt gut auf, ihr goondas! Ob ihr einheimisch oder phoren seid, Leelas supersaure Mutter bringt euch zur Strecke! Die reizende Leela ihrerseits, im Augenblick zu Dreharbeiten für den nächsten Rocky-Prasad-Hit im romantischen Schottland weilend, soll sich völlig abgeschottet haben …

    In Mrs. Zahirs Kopf hatten die finanziellen Interessen ihrer Tochter immer schon ganz oben rangiert. Vom ersten Vorsprechen und ihrer glänzenden Idee an, den persischen Namen des Mädchens hindufreundlich abzuändern, hatte Leila-Leela in atemberaubender Geschwindigkeit Karriere gemacht. Sie war außerdem erfreulich frei von all den Makeln geblieben, die anderen Starlets aus Bombay anhafteten. Sicher, in der ersten Zeit gaben bestimmte Leute ihre Kommentare darüber ab, dass ein siebzehnjähriges Mädchen so oft in Begleitung des schon angejahrten Filmmoguls K.P. Gupta gesehen wurde. Manche werden vielleicht sogar eine Verbindung zwischen dieser Tatsache und der Hauptrolle gesehen haben, die Gupta seinem unbekannten Schützling in N2L2 gab. Die Leute hatten einfach schmutzige Gedanken. Dagegen war nichts zu machen. Aber das hier! Sich für eine Sache wie diese den einundzwanzigsten Geburtstag ihrer Tochter auszusuchen! Es war eine Public-Relations-Katastrophe.
    Gestohlen. Piraterie. Dieselbe fünf Sekunden währende Schleife, die immer aufs Neue wiederholt wurde. Fünf Sekunden aus dem urheberrechtlich total geschützten holi- Tanz in Naughty Naughty, Lovely Lovely. Fünf Sekunden, hundertprozentig honorarfrei. Mrs. Zahir spürte geradezu, wie ihr Schmuck leichter wurde, wie jedes nicht bezahlte Filmbild den Armringen an ihren Handgelenken etwas Gewicht

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