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Grayday

Grayday

Titel: Grayday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hari Kunzru
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nahm oder einen Stein aus den Ringen an ihren Fingern löste. Das musste aufhören. Dem musste augenblicklich ein Ende gemacht werden.

D er Gesetzesbrecher saß an seinem Arbeitsplatz und zählte. Kugelschreiber in seinem Cisco-Systems-Reklamebecher: 18. Im Block verbliebene Post-it-Notizzettel: 37. Tasten auf der Tastatur: 105. Schweißtropfen auf der Delete-Taste: 1. Er wischte ihn mit der Fingerspitze weg. Es kostete ihn Mühe, sich auf seinen Bildschirm zu konzentrieren.
    Mit jeder Stunde wurde die Liste der durch Leela ausgelösten Katastrophen länger. Klienten aus der ganzen Welt nahmen Kontakt zu Virugenix auf und wollten wissen, wie die Viren aus ihren Systemen zu entfernen wären. Das Hotline-Team hängte Updates an eine Seite im Firmenintranet an, und Arjun verfolgte wie besessen, welchen Schaden er angerichtet hatte: bei Strickmaschinenfabrikanten und Unternehmensberatern, Sexmagazinen und Universitätsfakultäten, einem Autoersatzteillieferanten in Austin, der sein Bestandsverzeichnis nicht finden konnte, einer Public-Relations-Firma in Sao Paulo, die ihre Kundendatei verloren hatte. Am späten Nachmittag fiel ein Router aus und legte einen Großteil des Bostoner Internetverkehrs fast eine Stunde lang lahm. Immer neue Meldungen flackerten über den Bildschirm. Art des Vorfalls. Schwere. Erteilter Rat. Am häufigsten wurde der Rat erteilt, das E-Mail-System zu schließen und auf eine Lösung zu warten.
    Eine Lösung, die das Antiviren-Team erst noch finden musste.
    Brechreiz stieg ihm in Wellen in die Kehle. Arjun fühlte sein Herz im Brustkorb schlagen, ein verstärktes Rattern, das an Krankheit, Krise gemahnte. Buchstaben in Absatz eins des Textes auf seinem Bildschirm: 342. Anzahl der sichtbaren Deckenplatten zwischen der Kabinenwand und der Reihe der Einbaulampen quer über die Mitte der Bürodecke: 15. Der Kontrollbereich war mit diskutierenden Ingenieuren angefüllt, Darryl hockte in einer Ecke auf einem Schreibtisch, schlenkerte mit den Beinen und beobachtete das Geschehen, während Clay und der vietnamesische Analyst Tran eine gestenreiche Debatte führten, auf der Tafel herumkritzelten und sich wütend gegenseitig ihre Glyphen durchstrichen. Ab und zu mischten sich andere ein, und der Streit weitete sich über den ganzen Raum aus. Arjun hatte nicht den Eindruck, als kämen sie gut voran.
    Er wusste, wenn er zu lang wartete, würde er den richtigen Moment verpassen. Dennoch hielt ihn etwas auf seinem Stuhl fest. Am liebsten hätte er mit seiner Schwester gesprochen. Er hätte gern die Stimme eines Menschen gehört, der ihn kannte und Mitgefühl hatte. Chris kam ihm in den Sinn, aber nur kurz. Er wartete, bis die meisten Mitarbeiter den Kontrollbereich verlassen hatten, dann klopfte er an die Tür. Nur Clay und Darryl waren im Raum, tranken Softdrinks aus dem Bürokühlschrank und blätterten mutlos einen Ausdruck mit dekompilierten Codes durch. Als er Arjun vor der Tür sah, setzte Clay eine undurchdringliche Miene auf, und Darryl begann in einer heftigen Wegscheuchbewegung mit den Händen zu flattern.
    »Was tun Sie da?«, stammelte er, kaum dass Arjun den Kopf in den Raum gesteckt hatte. »Es gibt Vorschriften, Mehta. Sie sind dazu nicht befugt.«
    »Ich muss Sie sprechen, Darryl.«
    »Ich – ich bin nicht interessiert, okay? Das ist nicht gut. Das ist überhaupt nicht gut. Gehen Sie hinaus.«
    Arjun hätte sich beinahe gefügt und wandte sich schon zum Gehen, dann aber nahm er all seinen Mut zusammen.
    »Es ist wichtig.«
    »Das ist keine gute Zeit, okay? Wir haben so etwas wie eine Krisensitzung. Wir befassen uns mit etwas Wichtigem, wenn Sie also einfach die Tür zumachen und gehen könnten, Mehta. Clay, sagen Sie’s ihm. Schmeißen Sie ihn raus.«
    »Es geht um das Leela-Virus.«
    »Guter Name, hm?«, sagte Clay zu niemand besonderem. »Ich finde, man sollte allen Viren Mädchennamen geben. Wie Schiffen. Oder Hurrikanen.«
    »Hurrikane haben oft Männernamen«, schnauzte Darryl ihn an. »Andrew zum Beispiel.«
    »Ich glaube, bis 1979 wurden nur Frauennamen benutzt«, meinte Arjun. »Seitdem gab es eine wechselnde Liste.«
    »Mitch«, sagte Clay. »Bob und Alice.«
    »Das ist Krypto«, sagte Darryl. »Mehta, warum sind Sie immer noch hier?«
    »Ich denke, ich habe etwas entdeckt, Sir.«
    »Sie haben Recht, Mann«, sagte Clay. »He, Arjun, diese Layla Zoohaar ist doch so was wie ’ne Schauspielerin, nicht? Haben Sie mal einen ihrer Filme gesehen?«
    »Was meinen Sie damit, Sie haben etwas

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