Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grayday

Grayday

Titel: Grayday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hari Kunzru
Vom Netzwerk:
selbstverständlich. Ich sehe zu, was ich machen kann. Ja.«

A rjuns Entscheidung besaß eine gewisse Logik, wenn auch nur die, wie sie Automatenkaffee, Maissnacks mit Schinkenaroma und die harte Nachmittags-Neonbeleuchtung in Wartezonen auf Busbahnhöfen erzeugen. Sie ging ungefähr so: Sie denken, du fährst nach Norden. Was also, wenn er einen Fehler machte? Anstatt umzukehren, würde er weiterfahren. Statt nach Norden, nach Süden. Statt nach Kanada, nach Mexiko. Blockhaus weicht Lehmziegel-Hazienda. Suche und ersetze. Es war die Taktik, die für Rajiv Rana in Run from Injustice funktioniert hatte.
    In Bend kaufte Arjun sich eine Fahrkarte für den nächsten Bus in Richtung Süden, und während die Nacht zum Tag wurde und der Tag wiederum zur Nacht, sah er zu, wie der schmale Streifen Amerika am Rand der Fernstraße von Grün zu Braun und wieder zu Grün wechselte, bis sich der Himmel zu einem dunstigen Grau verfinsterte und Wassertropfen Streifen auf dem Sicherheitsglas bildeten. Plötzlich sah man Schaumkronen auf offenem Wasser, und sie fuhren über die Golden Gate nach San Francisco hinein. Dort aß er eine in der Mikrowelle aufgebackene Quesadilla und kaufte sich eine Zeitung, die fast nur über Sport und verrückte Wetterereignisse berichtete und weder Leela noch ihn erwähnte.
    Er stand in einer langen Schlange vor einem Fahrkartenschalter, an dem gestresste Angestellte Tickets per Hand ausstellten, dann stieg er in einen Bus nach San Diego. Stündlich hatte Kalifornien weniger Bäume und flachte sich zu einer staubigen Ebene ab, die von Highway-Ladenzeilen und Feldern mit leuchtend grünem Salat gesäumt war, durch die sich Latinopflücker in zottigen Trupps bewegten. An manchen Orten war die Ernte braun in den Gewächshäusern oder mit Plastikfolien abgedeckt, die im Sonnenlicht gleißten und am Fenster in blendenden Blitzen vorüberzogen. Als die Sonne unterging, waren nur noch erleuchtete Firmenschilder und ein stetiger Strom von Scheinwerfern zu sehen.
    Nie wusste er den Namen des Ortes, an dem sie eine Pause einlegten. Ein Busbahnhof sah aus wie der andere. Es war weit nach Mitternacht. An den Verkaufsständen waren die Rollläden heruntergelassen, und die Reiseauskunftsbude war unbesetzt. In einer Ecke tschilpten und knurrten Videospielautomaten. Reihen von Plastiksesseln blickten auf Haltebuchten, in die die ankommenden Busse ihre Schnauzen bohrten; über jeder hing ein Monitor mit der Ankunfts- und Abfahrtszeit. Einige Sessel hatten Münzfernseher an den Armlehnen, und hier und da steckten Leute Münzen hinein, wofür sie winzige schwarzweiße Flimmerbilder zu sehen bekamen. Arjuns Blick für amerikanische Klassenunterschiede hatte sich geschärft. Viele der Wartenden waren fett, das paradoxe Anzeichen von Armut in diesem Land der Widersprüche. Andere, schmutzig und ungepflegt, schliefen, die Arme fest um Plastikbeutel mit Kleidern geschlungen. Ein bärtiger Mann mit einer Mütze, auf der »Mustache Rides 5c« stand, rief jeder Frau, die vorbeiging, »He, Baby, he« zu. Ein anderer zappelte in einem fort mit Armen und Beinen, während sein Vogelkopf nervös von links nach rechts schnellte, als suche er einen Angreifer.
    Arjun nahm seine Tasche und ging zur Toilette, wo er sich das Gesicht wusch und sein Hemd wechselte. Es waren zehn Minuten Zeit, bis der Bus weiterfuhr. Er schlurfte zu den Telefonen hinüber, die an der Wand hingen, und wollte gerade seine Telefonkartennummer wählen, als ihm bewusst wurde, dass es in Indien erst früher Nachmittag war und Priti noch im Dienst sein würde. Er wählte trotzdem. Malini hob ab und klang aufgeregt, als sie hörte, dass er es war. Dann nahm ihr ein anderer den Hörer aus der Hand.
    »Bro? Herrgottnochmal! Wo bist du denn? Ich habe dich andauernd anzurufen versucht.«
    »Ich – ich war weg. Ich bin auch jetzt nicht zu Hause.«
    »Ich habe dir so viel zu erzählen. He, alles ist total chaotisch bei der Arbeit. Alle unsere Systeme sind ausgefallen. Im ganzen Haus. Es war der reine Wahnsinn! Mein Chef hätte sich am liebsten die Haare ausgerissen, wenn der alte Glatzkopf noch welche hätte. Ich hab dir doch von ihm erzählt, stimmt’s? Von dem Glatzkopf? Du hast sicher viel, viel zu tun bei dieser ganzen Virussache. Aber rate mal, was – ich arbeite heute nicht! Bist du neidisch? Sie mussten uns den Tag frei geben.« Sie senkte verschwörerisch ihre Stimme. »Ich habe ihn zum größten Teil mit Ramu verbracht. Oh, Arjun, es ist so viel passiert. Ich

Weitere Kostenlose Bücher