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Grayday

Grayday

Titel: Grayday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hari Kunzru
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er nichts weiter tun konnte, als sich auf der gesteppten Nylontagesdecke langzumachen und die Augen zu schließen.
    Er versuchte sich die Grenze vorzustellen, vermochte sie aber nur als Abstraktion zu sehen, als dicken schwarzen Strich quer über den Boden.
    Als er aufwachte, wusste er nicht, wo er war, spürte aber keine Angst. Der ferne Verkehrslärm war beruhigend, und die Geräusche eines Fernsehers, die durch die dünne Trennwand hinter seinem Kopf drangen, waren angenehm vertraut und erinnerten ihn an sein Studio in Berry Acres. Er sank zurück auf das Kissen. Dann hörte er ein lautes Krachen vor seiner Tür. Sofort saß er senkrecht, jeder Muskel gespannt in der Erwartung, dass die kevlargepanzerten Sturmtruppen jeden Augenblick hereinstürmten. Aber auf das Krachen folgte Gelächter, zwei Frauen diskutierten witzig miteinander, während sie im Korridor auf die Knie gingen und auflasen, was sie hatten fallen lassen.
    Die Aussichtslosigkeit seiner Lage kam ihm erneut zu Bewusstsein und senkte sich über ihn wie eine Vakuumglocke. Er stellte die Füße auf den Boden und rieb sich die Augen. Da er keine Ahnung hatte, wie spät es war, warf er einen raschen Blick durch die Vorhänge. Der Himmel über der Dachsilhouette des Motelhofs war grau und trübe. Morgen- oder Abenddämmerung, egal.
    In einer plötzlichen Anwandlung von Eile zog er seinen Laptop aus der Tasche und wühlte zwischen Socken und Unterhosen nach einer kleinen, golfballgroßen Kamera, deren Kabel er mit zitternden Fingern entwirrte. Er stöpselte sie ein, und während er darauf wartete, dass der Computer hochfuhr, stellte er den Papierkorb umgedreht auf den Nachttisch, setzte die Kamera darauf und richtete sie so aus, dass sie ihn im Bild hatte, als er sich auf einen Stuhl in der Ecke setzte. Es war Zeit, sich zu rechtfertigen, sich der Öffentlichkeit zu stellen.
    Eine Stunde später verließ er das Motel mit einer selbst verfertigten Landkarte in der Hand, die ihm den Weg zu einem Spielsalon und Internetcafe namens Boba Fetts wies, das den Gelben Seiten zufolge das nächstgelegene Lokal mit einer schnellen öffentlichen Internetverbindung war. Auf die Straße hinauszugehen war riskant, aber die Dateien, die er fabriziert hatte, waren umfangreich: sie vom Motel aus upzuloaden, würde zu lange dauern. Es war, hatte er festgestellt, früher Abend. Ein fahler, petrochemischer Sonnenuntergang ging in Dunkelheit über. Die Luft war noch immer warm, und während er seiner Karte durch das Netz der Innenstadtstraßen folgte, pulsten Basslinien aus offenen Wagenfenstern, und Menschen standen in Gruppen an den Straßenecken. Glückliche, entspannte Menschen. Bürger. Konsumenten. Er eilte vorbei.
    Draußen vor Boba Fett’s sah man ausschließlich Sportklamotten. Dazu Goldkettchen, Steroidcreme und Haargel. Eine riesige Schar halbwüchsiger Jungen hatte sich um eine Doppelreihe Autos versammelt, rauchte Zigaretten und diskutierte in verschiedenen südostasiatischen Sprachen. Sie gingen auf die Knie, um Felgen zu begutachten, spielten mit Piepsern und Handys herum, öffneten Wagenschläge und Kofferräume, um pulsierende Soundsysteme zur Schau zu stellen, nahmen Gangsterposen ein und beäugten Arjun voll Misstrauen. Sie versperrten den Bürgersteig, und als er sich durch sie hindurchdrängte, um zu dem Café zu gelangen, wurde er angestarrt, kühl taxiert. Er bemerkte nervös, dass er auf deutlich abgegrenztes Gelände geraten war.
    Als er die Tür aufmachte, wurden wehmütige Erinnerungen an Aamir und Gabbar Singh’s Internet-Cafe davongeweht. Er knallte gegen eine Wand elektronischer Geräusche, eine Schrecken erregende Mischung aus Filmmusik, Gewehrfeuer und nachgemachten V8-Motoren. Jungen, Vietnamesen und Koreaner zum größten Teil, kämpften mit Rail Guns, Lasern, Dreschflegeln, Morgensternen und außerirdischen Impulswaffen. Sie köpften sich gegenseitig, drängten einander von der Straße, machten die Städte ihrer Feinde mit Feuerbällen dem Erdboden gleich und vernichteten deren Elitedivisionen mit taktischen Atomwaffen. Einige hatten Kopfhörer auf, in einsame Trance entrückt. Andere waren der Mittelpunkt erregter Zuschauergruppen. Am hinteren Ende des Raumes gab es an einem Tresen Getränke und Snacks, hinter dem der zwanzig-und-nochwas-jährige Geschäftsführer seiner Arbeit mit gelben Schaumgummi-Ohrstöpseln nachging. Von dem Brett mit den Getränkepreisen und den Terminal-Stundentarifen abgesehen, wies Boba Fett’s kaum Dekor auf, es

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