Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Graz - Novelle

Graz - Novelle

Titel: Graz - Novelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luftschacht-Verlag <Wien>
Vom Netzwerk:
auf die Tannenzweige steigen solle. Die Tannenzweige schützten die Blumenzwiebeln. Die dünne Luft machte mich trunken. Mein Gehirn registrierte die Botschaft, die ich gerade gelesen hatte. Trotzdem suchte ich noch um mich herum nach den Tannenzweigen, den Blumenzwiebeln. Auf einem offenen Platz weiter oben wärmten sich ein paar Leute an einem Feuerkorb. Sie lachten prustend, tranken Punsch und brieten Maroni. An den Laternen zogen Rauchschwaden vorbei.
    Der warme Wein und die gebratenen Maroni und der schwere, süße Geruch von Früchten gehörten zum Winter. Im Januar konnte es passieren, dass man plötzlich, in einem Moment, wo man es am allerwenigsten erwartete, einen Hauch von Orangen auffing, von verbrannten Maronischalen, ein vergessener Geruch, der noch vom vergangenen Mal in der Nase hängen geblieben war.
    Ich ging den Weg nach oben, einen strahlend weißen Teppich mit Fußstapfen darin. Sie führten in die eine oder die andere Richtung.
    An der Kreuzung hatte sichtbar jeder gezögert, welche Richtung er weitergehen sollte.
    Mit kalten Händen versuchte ich meine Stirn und die Gedanken warm zu reiben. Ich könnte meinen ursprünglichen Plan abändern und dem Weg zum Starcke Haus folgen. Dann könnte ich einen kleinen Tisch in der Ecke bekommen, wo niemand sitzen wollte, und ich könnte sittsam tun und einen Kräutertee mit Honig bestellen, langsam vor dem Schlafengehen trinken, Leute beobachten, ernst wahrscheinlich, da ich über die Worte meines Vaters nachdenken müsste.
    Ich könnte auch dem Weg in die andere Richtung folgen und das letzte Ende dem Glockenturm entlang bis zum Hackher-Löwen gehen, um danach über den Weg, den ich den hinteren Weg nannte, als ob der Berg nur eine Vorderseite und eine Hinterseite hätte, wieder hinabzusteigen, so wie es mein Plan gewesen war, als ich noch von unten die Treppe entlang hinaufgeblickt hatte.
    Ich wählte nicht den Tee.
    Der Wind stand weniger stramm als gerade eben, als ob sich der Schlossberg um ein Viertel nach Nordosten gedreht hätte. Er schnitt nicht. Er schabte. Er suchte nach Ritzen in meiner Kleidung.
    Ich zog meine Jacke straff um mich und folgte dem Weg, dem die wenigsten Leute folgten, und versuchte, auf nichts Besonderes zu achten, an nichts Besonderes zu denken. Ich hoffte auf Sterne, doch der Himmel war zu. Auf einer Laterne lag ein Häufchen Schnee. Das Häufchen sah aus wie ein verdrückter Hut. Ich erschrak wegen einem Vogel, den ich zuerst für eine Eule hielt, doch es war eine Taube, die von jemandem oder etwas geweckt worden war und panisch aufflog. Ich zählte die Futterkästchen, die nicht für die Tauben gedacht waren. Da hingen drei. Ich sah eine Bank, worauf sich jemand, trotz des Schnees, gesetzt hatte. Der Abdruck des Körpers saß noch da. Ich sah den chinesischen Pavillon zwischen den Bäumen, und seltsamerweise dachte ich an die Tatsache, dass ein paar Kunden mich heute „Junge“ genannt hatten. Ich dachte: Heute muss ich wohl wie ein Junge ausgesehen haben.
    Bis zum Fuß des Hackher-Löwen hieß mein Spaziergang Hinweg. Ich stellte mich auf die breite Stufe neben den Löwen, der in Richtung Gösting brüllte, und blickte mit ihm gemeinsam mit.
    Ich fühlte, wie mir die Müdigkeit Streiche spielte. Ich brauchte mich nicht mehr so oft zu vergewissern, ob ich lebte. Andere Fragen kamen mir in den Kopf, wie das so ist, wenn das Bett ruft. Ich ließ meinen Blick von links nach rechts gleiten. Ich dachte an die großen Städte, die hinter den Bergen lagen und wo ich irgendwann hinwollte. Schönheit bietet nicht immer Trost oder wache Gedanken.
    Ein kalter Windstoß ließ mich am eigenen Leib fühlen, wo Norden war. Ich krümmte mich zusammen und tat einen Schritt nach hinten, der erste Schritt des Rückwegs, und gerade als ich mich umdrehte, stapfte neben mir jemand nach vorne. Meine Lunge klappte zu. Das Kreischen, das ich ausstoßen wollte, blieb in meiner Kehle stecken. Ein paar Sekunden stand etwas anderes als ein Mensch neben mir, ich dachte an das Böse oder die Sühne, aber dann musste ich über mich selbst lachen, denn das Böse oder die Sühne war eine Frau, und sie trug eine kurze Jacke, rote Wollstulpen und ein rotes Tuch. Sie sagte: „Sorry.“
    Ich sagte: „Entschuldigung?“
    Sie zog das rote Tuch vor ihrem Mund weg und wiederholte, was ich gesagt hatte, als ob ich ihr ein neues Wort beigebracht hätte.
    „Entschuldigung.“
    Sie kicherte und legte ihre Arme übereinander. Sie hatte es nicht eilig.
    Ich blieb bei

Weitere Kostenlose Bücher