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Grazie

Grazie

Titel: Grazie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chelsea Cain
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das Glas hin.
    Er blieb noch einen Moment stehen, ehe er sich von der
Anrichte abstieß, zu ihr ging und das Glas nahm. Als er es nahm,
berührten sich ihre Finger. Bei dem Kontakt wurde ihm schwindlig und
für einen Moment schwarz vor den Augen, aber er achtete darauf, sich
nichts anmerken zu lassen. Er prostete ihr zu und trank den Whiskey
dann in mehreren Schlucken. Er kannte sich nicht besonders gut aus mit
Scotch, aber er ließ sich angenehm trinken und schmeckte teuer. Als er
ausgetrunken hatte, gab er ihr das Glas zurück, in dem jetzt nur noch
Eis war.
    Er wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. »Ich muss
duschen«, sagte er.
    »Den Flur entlang, die zweite Tür links«, sagte sie. »Du wirst
alles finden, was du brauchst.«
    »Meine Zurechnungsfähigkeit?«, fragte er.
    Sie beugte sich vor, wie um ihn zu küssen, aber stattdessen
brachte sie den Mund nahe an sein Ohr, ihre Wange war nur Millimeter
von seiner entfernt. Ihr Geruch machte ihn benommen. Ihr Atem war warm,
dennoch lief ihm eine Gänsehaut über den Rücken.
    »Um die ist es schon lange geschehen, Liebling«, flüsterte sie.
    Er hatte geduscht und Sachen aus dem Schrank
angezogen. Eine braune Cordhose und ein blaues Hemd. Ein Unterhemd.
Unterhose. Socken. Alles passte perfekt. Die Wirkung der Pillen hatte
unter der Dusche eingesetzt, die Gliederschmerzen und der Schmerz in
seiner Leber hatten nachgelassen und waren durch ein weißes Rauschen
ersetzt worden, das sich weich und tröstlich vertraut anfühlte. Es war
nicht mehr so wie am Anfang, keine Euphorie mehr. Aber die Pillen
dämpften seine Empfindungen so weit, dass er sich fast wohl fühlte.
    Als er ins Wohnzimmer zurückkehrte, war es draußen vollkommen
dunkel.
    Gretchen war auf die Ledercouch umgezogen. Das Feuer war ein
wenig heruntergebrannt, tauchte den Raum aber nach wie vor in einen
warmen, orangefarbenen Schein. Archie nahm in dem Sessel Platz, in dem
Gretchen zuvor gesessen hatte. Der Laptop war nicht mehr zu sehen.
    »Willst du noch einen Drink?«, fragte sie.
    »Warum nicht?«, sagte Archie.
    Sie stand auf, ging zwischen Couch und Sessel hindurch und
streifte dabei mit den Fingerspitzen seinen Arm. Er zwang sich, den
Blick geradeaus zu richten, sie nicht anzusehen. Er hörte sie hinter
sich Eis in das Glas geben, den Scotch einschenken. Die Flüssigkeit
knisterte auf dem Eis. Das Eis klirrte an das Gefäß. Sie kam zurück,
reichte ihm das Glas und setzte sich auf die Lehne seines Sessels. Sein
ganzer Körper spannte sich an. Er konnte es nicht verbergen; seine Hand
schloss sich fest um das Glas, seine Knie wurden starr.
    Sie lachte leichthin, streckte den Arm über die ganze Breite
des Sesselrückens und lehnte sich an ihn. Er spürte die Kaschmirwolle
ihres Pullovers seinen Nacken kitzeln. Das Glas blieb wie erstarrt in
seiner Hand.
    »Je mehr du trinkst, desto schneller wird es gehen«, sagte sie.
    Er konzentrierte sich auf das Glas. Es war schweres Kristall
mit Silberrand. Er trank einen Schluck von dem Scotch, langsam diesmal,
ließ den Alkohol auf seiner Zunge verweilen, kostete den Geschmack aus.
    »Das Leberversagen«, fuhr sie fort. »Deshalb bist du hier,
nicht wahr?«
    Er fühlte, wie sich sein Körper ein wenig entspannte, und er
prostete ihr zu. »Auf meine Gesundheit«, sagte er.
    Sie griff nach seiner freien Hand und drehte sie in ihren
Händen hin und her. Die Nagelbette waren weiß, die Haut eine Spur zu
gelb. »Jetzt dauert es nicht mehr lange«, sagte sie.
    Er brauchte genügend Zeit. Einige Tage vielleicht. »Wie
lange?«, fragte er.
    »Ein paar Tage, ein paar Wochen«, sagte sie. Sie langte über
ihn hinweg nach dem Glas in seiner Hand, ihre Brüste streiften seine
Brust, ihr bleicher Hals lag an seinem Kinn. Dann setzte sie sich
wieder aufrecht. Sie roch anders als er sie in Erinnerung hatte. Nach
einer anderen Blume. Rosen. Vielleicht hatte sie nie nach Flieder
gerochen. Vielleicht hatte er es sich nur eingebildet. Er lächelte
darüber, während sie einen Schluck aus seinem Whiskeyglas trank.
    »Du riechst gut«, sagte er.
    Sie hielt ihm das Glas hin, und er nahm es.
    »Vielleicht geht es auch schneller«, sagte sie. »Das hängt
davon ab, wie effektiv du dich vergiftest.«
    Er sah auf das kostbare Glas in seiner Hand. Solche Gläser
fand man nicht in Mietshäusern. Ein privates Ferienhaus also. Sie hatte
es gemietet. Oder die Familie umgebracht. Sein Magen zog sich zusammen.
Darüber durfte er jetzt nicht nachdenken.
    Das Glas. Wenn alles gut ging,

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