Grazie
Sheridan? Zwölf Jahre
älter als sie und in seine Exfrau verliebt. Genau ihr Typ und deshalb
total verboten. Außerdem hatte sie etwas zu erledigen.
Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Bildschirm vor
ihr.
Ihre gegenwärtige Priorität: Senator Lodge als das Schwein zu
entlarven, das er war. Die Zeitung hatte sich auf Schritt und Tritt
quergestellt und die ganze Geschichte als ein altes Gerücht abgetan.
Bis Susan Molly fand. Über die so genannten ›Affären‹ des Senators gab
es seit Jahren Gerede. Und mehrere Reporter hatten sogar versucht,
Molly aufzuspüren. Molly hatte sich geweigert, mit einem von ihnen zu
reden. Aber sie und Susan hatten etwas gemeinsam. Ihnen war beiden als
Kind eine üble Geschichte widerfahren, die sie in puncto Männer nicht
richtig ticken ließ.
Bei Susan hatte das zu untauglichen Männern geführt, zu
Drogen, falls man Marihuana mitrechnete, was in Portland, Oregon
niemand tat, und zur schlimmsten Sorte von Exhibitionismus, nämlich
Bekenntnisjournalismus. Molly war in jeder Beziehung schlechter
weggekommen.
Vielleicht, dachte Susan, konnten sie einander helfen, den Weg
aus dem Dunkeln zu finden.
Oder wenigstens nicht so klischeehaft zu reagieren.
Susan griff nach der Teetasse, die ihre Mutter ihr dagelassen
hatte, und setzte sie an den Mund. Aber er war noch zu heiß.
Am frühen Morgen nahm Susan wahr, dass der
Festnetzanschluss ihrer Mutter läutete. Bliss hatte noch immer dasselbe
Telefon wie in Susans Kindheit, ein roter Apparat mit Wählscheibe, der
an der Küchenwand hing und dessen Schnur so verdreht war, dass man den
Hörer nur wenige Zentimeter von der Gabel ziehen konnte. Er hatte einen
lauten Klingelton, was Bliss gefiel, weil sie es hörte, wenn sie hinten
im Garten war und den Kompost wendete oder die Ziege molk. Wieso ihr
allerdings daran gelegen war, es zu hören, wusste Susan nicht, da ihre
Mutter so gut wie nie ans Telefon ging. Deshalb war sie nun überrascht,
als das Läuten nach kurzer Zeit aufhörte.
Sie drehte sich um, ein kompliziertes Manöver, das die
Hängematte gefährlich ins Schaukeln brachte; bald darauf war sie wieder
eingeschlafen.
Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber sie fühlte
ihre Mutter an ihrer Seite. Sie krümmte sich und versuchte, eine Decke
über den Kopf zu ziehen. Sie hörte draußen den Lkw, der den
Glascontainer leerte, deshalb wusste sie, dass es etwa sieben Uhr war.
Die Flaschen und Gläser fielen klirrend auf die metallene Ladefläche
des Fahrzeugs, ein schreckliches, gewalttätiges Geräusch, als würde
jemand eine Windschutzscheibe zertrümmern. Susan konnte sich nie daran
gewöhnen. »Du sollst doch anklopfen«, sagte sie zu ihrer Mutter.
Bliss presste die Hand sanft auf Susans Oberarm. Die
Hängematte schaukelte. Irgendwie erkannte sie an der Berührung, dass
etwas nicht stimmte. Sie war zu entschlossen. Susan stützte sich auf
die Ellenbogen. Bliss' Gesicht war spitz. Jemand war gestorben.
Susans Herz pochte plötzlich heftig. Wer? Susan dachte an den
Lokalreporter, mit dem sie vor zwei Monaten ein paarmal ausgegangen
war. »Derek?«, fragte sie.
Bliss strich eine Strähne von Susans Haar glatt. »Es ist
Parker, Kleines«, sagte sie. »Und Senator Lodge. Sie waren zusammen in
einem Auto. Der Wagen ist heute früh von der Fremont Bridge gestürzt.«
Susan krabbelte aus der Hängematte und kauerte sich nackt auf
das Reisstroh darunter. »Was?«
Bliss hockte sich auf die nackten Fersen und sah Susan an, ihr
Gesicht war voller Trauer. »Sie sind beide tot, Kleines.«
»Was?«, sagte Susan noch einmal, kaum lauter als ein Flüstern.
»Ian hat von der Zeitung aus angerufen«, sagte Bliss leise.
»Sie sind tot.«
Parker. Susan brach innerlich zusammen. Im Handumdrehen war
sie wieder vierzehn und im Krankenzimmer ihres Vaters, hilflos, allein,
wütend. Sie schob die Hilflosigkeit und Einsamkeit beiseite und ließ
sich von ihrer Wut vereinnahmen.
»Er ist verdammt noch mal gestorben?«, sagte sie. »Der Senator
ist verdammt noch mal gestorben, bevor mein Artikel erscheinen konnte?
Zwei Monate habe ich daran gearbeitet.« Sie fühlte, wie sich ihr
Gesicht rötete und ein stechendes Gefühl sich in ihrer Brust
ausbreitete. Nicht Parker, dachte sie. Bitte
nicht Parker. »Zwei Monate.«
Bliss kauerte einfach auf der Reisstrohmatte und wartete.
Susan schnaubte, Rotz lief aus ihrer Nase. »Parker ist tot?«,
fragte sie mit sehr dünner Stimme.
Ihre Mutter nickte.
Es ergab keinen Sinn. Was hatte
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