Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
herrsch
te ein begreiflicher Mangel an Freiwilligen, die sich
für Tests meldeten. Man musste wirklich verzweifelt
sein, um auf solche Chancen zu wetten. Brett sah
Finn neugierig an. Sicherlich war er nicht verrückt
genug, um die Droge selbst zu nehmen?
Na ja, tatsächlich war er wohl so verrückt; aber er
war nicht dumm.
»Ich habe die Droge vorrätig, ja«, sagte Dr. Glück
lich und blinzelte heftig mit den Glubschaugen.
»Sehr selten, sehr gefährlich! Ich habe sie in reiner
Form da. Nur ein paar Tropfen, die einen zum Tele
pathen machen, zum Polter, zum Präkog. Die einen
zum Esper machen oder umbringen. Wahrscheinlich
umbringen, auf ganz entsetzliche Art und Weise. Ge
schlossener Sarg, keine Blumen, sehr traurig. Sehr
seltsame chemische Struktur … fast mit Sicherheit
nichtmenschlichen Ursprungs … aber ah, das Poten
zial, falls wir jemals das Problem der Todesrate lö
sen!« Er lächelte süß. »Solche Wunder liegen im
menschlichen Geist verborgen und warten nur dar
auf, befreit zu werden!«
»Ich nehme sie«, unterbrach Finn erbarmungslos
die Eloge Dr. Glücklichs. Der gute Doktor zuckte die
Achseln. Er war das gewöhnt. Nur wenige Menschen
wussten ihn wirklich zu würdigen. Er spazierte zum
Kühlschrank hinüber und tätschelte unterwegs einige
seiner Lieblingsapparate wie geliebte Haustiere.
»Was zum Teufel habt Ihr mit der Esperdroge
vor?«, fragte Brett leise. »Ihr gedenkt doch nicht, sie
selbst einzunehmen, oder?«
»Oh nein«, sagte Finn. »Ich habe keinesfalls vor,
sie selbst zu schlucken.«
Die meisten Paragone, die anlässlich der Krönung
Douglas’ nach Logres angereist waren, hatten be
schlossen, dass sie genauso gut auch noch die Hoch
zeit mitnehmen konnten. Es waren nur noch weitere
zwei Wochen, und sie erhielten so selten Gelegen
heit, Urlaub zu machen. Sollten die Friedenshüter
mal eine Zeit lang etwas für ihr Gehalt tun. Die Pa
ragone, die sich nur in Gesellschaft ihresgleichen
richtig wohl fühlten, saßen meist in der Kneipe Zum
Heiligen Gral und tauschten dort Ideen und Erfah
rungen und immer heroischere Versionen früherer
Fälle aus. Es wurde schwer getrunken und viel ge
prahlt, und einer stach den anderen aus. Essen und
Trinken mussten stetig nachgeliefert werden, immer
vom Besten, und natürlich verlangte niemand von
den Paragonen, dafür auch zu bezahlen. Schließlich
waren sie Paragone. Es war eine Ehre, dass sie hier
einkehrten und aßen und tranken und den Wirt um
Heim und Herd soffen.
Der Heilige Gral war bislang eine Polizistenkneipe
gewesen, deren Kundschaft fast ausschließlich aus
den Sicherheitsleuten des Parlaments bestand, da das
Hohe Haus nur ein Stück weiter an derselben Straße
lag; dann jedoch marschierten die Paragone einfach
massenweise ein und übernahmen den Schuppen,
und absolut niemand war geneigt, sich dem entge
genzusetzen. Die Leute vom Sicherheitsdienst zogen
in eine etwas zweifelhaftere Kneipe an derselben
Straße um, um dort zu schmollen, und gaben sich
Mühe, die Laute des Frohsinns zu ignorieren, wie sie
aus ihrem früheren Stammlokal herüberdrangen. Der
Besitzer des Heiligen Gral seufzte, biss in den sauren
Apfel und lächelte seine neue Kundschaft an, bis ihm
die Wangen schmerzten. Schließlich schlug er ein
nettes Sümmchen aus dem Verkauf der Aufnahmen
seiner Sicherheitskameras an die Klatschsender.
Bilder von angezechten Paragonen brachten stets
gute Quoten.
Die Paragone lockten auch jede Menge Groupies
an, Männer und Frauen und alles dazwischen, die
nach Autogrammen, guten Geschichten, Sex, ein
bisschen Heldenverehrung oder einfach der tollen
Gesellschaft lechzten. Die Paragone duldeten sie,
solange diese Leute keinen Aufstand machten und
ihre Getränke bezahlten. An manchen Abenden war
die Kneipe dermaßen mit tollen und hinreißenden
Männern und Frauen gefüllt, dass man nicht mehr
durch die Tür kam, solange nicht jemand einatmete
und auf diese Weise Platz schuf. Der Besitzer stellte
zusätzliches Personal ein, blätterte Gefahrenzulage
auf den Tisch, lernte es, nicht mehr zusammenzuzu
cken, wenn seine Einrichtung zu Bruch ging, und
hielt den Laden rund um die Uhr geöffnet. Gäste ka
men und gingen, die Getränke flossen, als würden sie
am nächsten Tag verboten, und die Party fand kein
Ende. Es wurde gesungen und getanzt und viel nack
tes Fleisch gestreichelt, und stets lief auch irgendwo
die eine oder andere Schlägerei – denn lebende Le
genden konnten einfach keine
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