Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
Freundschaft wertschätzen zu lernen. Wenn man
reich und berühmt und atemberaubend schön ist,
möchten erstaunlich viele Menschen Freundschaft
mit einem schließen, aber es ist doch ein bisschen
enttäuschend, wenn man sie so schnell durchschauen
lernt und sich darüber klar wird, was sie von einem
möchten. Bislang hatte Jesamine nur mit einem Men
schen echte Freundschaft kennen gelernt, und das
war Anne, die sie lange kannte. Und natürlich mit
Douglas. Ein feiner Mann, dieser Douglas. Vielleicht
sogar ein großer Mann. (Ihre früheren Ehemänner
zählten nicht, nicht mal diejenigen, die gut im Bett
gewesen waren. Zur Hölle mit dem ganzen Haufen.)
Nein, Lewis … mochte sie, weil er sie nun mal
mochte. Die Person, nicht den Star. Das sah sie. Und
eindeutig hatte er keine Ahnung, wie erfrischend sie
das fand. Sie mochte ihn auch.
Sie hatte es zu Anfang nicht richtig einschätzen
können. Sein Ruf eilte ihm voraus. Der große und
unkorrumpierbare Paragon, der Held von Logres.
Nicht so berühmt wie Finn Durandal und nicht so
flott wie Douglas Feldglöck, aber bewundert und re
spektiert von aller Welt. Und natürlich trug er diesen
legendären Namen. Sie war sehr nervös gewesen, als
sie ihn traf. Sie spielte legendäre Figuren nur; er war
eine. Sie hatte mit einem kalten, humorlosen Purita
ner gerechnet, der selbst im Schlaf Haltung behielt
und niemals die Waffen ablegte. Jemandem, der ei
nen bloßen Theaterdarsteller wie sie nicht schätzen
würde. Stattdessen entpuppte sich Lewis Todtsteltzer
als … unterhaltsamer Gesellschafter, auf seine eigene
stille Art. Von niemandem und nichts beeindruckt
und stets mit einem gemurmelten Scherz oder einem
beißenden Kommentar zur Hand. Es gefiel ihr, in
seiner Gesellschaft zu sein. Auch Douglas entspannte
sich besser, wenn Lewis dabei war. Nahm sich und
seine Rolle dann nicht mehr so ernst. Der Todtstelt
zer brachte die besten Eigenschaften seines Königs
zutage.
Okay, Lewis war hässlich. Sein Gesicht war herb,
selbst wenn er lächelte. Es konnte sogar Monster er
schrecken. Aber er hatte einen freundlichen Blick.
Und nichts ging über eine Karriere im Showgeschäft,
um sich an hübschen Gesichtern irgendwann richtig
Leid zu sehen. Jesamine zog jederzeit Charakter dem
Aussehen vor.
Und sie mochte die Art, wie Lewis sich bewegte.
Es geschah mit Selbstvertrauen, typisch für den ge
schulten Krieger, als wüsste er jederzeit genau, was
er tat und wohin er ging. Wie es schien, konnte man
sich jederzeit darauf verlassen, dass er das Richtige
tat. Und er hatte eindeutig keinen Schimmer, wie be
ruhigend und wie sexy das war. Mal dem Echten zu
begegnen nach einem Leben der falschen Fuffziger
und der Wichtigtuer! Manchmal lächelte Lewis sie
an oder fing ihren Blick auf, und sie spürte, wie ihr
der Atem stockte oder ihr Herz für einen Schlag aus
setzte. Und dann zeigte sie ihr geübtes, berühmtes
Lächeln und redete ein bisschen schneller, um zu
verbergen, was sie empfand. Denn obwohl sie diese
Empfindungen genoss, wusste sie auch, wie gefähr
lich sie waren. Sie durfte den Todtsteltzer mögen,
sogar bewundern, aber mehr durfte nie daraus wer
den. Sie stand im Begriff, Douglas Feldglöck zu hei
raten. Sie würde Königin sein. Der Höhepunkt ihres
Lebens, ihrer Karriere, ihres Ehrgeizes. Alles, was
sie je geplant, wofür sie je gearbeitet, was sie sich je
erträumt hatte. Die berühmteste und tollste Frau des
Imperiums zu sein. Und die mächtigste, selbst wenn
es die Welt noch nicht ahnte. Nichts durfte dieses
Ziel gefährden, nicht mal die eigenen verräterischen
Gefühle.
Lewis und Jesamine unterhielten sich beim Tee
über viele Dinge, nichts davon wichtig. Und nicht ein
einziges Mal sprachen sie laut aus, was sie dachten:
In ihrem ganzen ereignisreichen Leben hatte keiner
von ihnen mal jemanden wie den Anderen kennen
gelernt. Einmal griffen sie nach demselben Gebäck
stück; da berührten sich ihre Hände und einen Au
genblick lang flogen die Funken.
Sie waren weitgehend fertig mit dem Tee und
suchten unauffällig nach irgendeiner Ausrede, um
die gemeinsame Zeit zu verlängern, als Lewis plötz
lich bemerkte, dass sich der Lärm draußen verändert
hatte. Alle seine geübten Paragon-Instinkte schalte
ten sich ein, und er wandte fast gegen seinen Willen
den Blick von Jesamine ab, ihrem Gesicht und ihren
Augen. Das Geschrei draußen war lauter, wütender,
brutaler geworden. Lewis stand plötzlich auf, und
Weitere Kostenlose Bücher