Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
hatten, war es
für sie nur Pflichterfüllung gewesen. Lewis hatte sich
verhalten, wie es ein Paragon auch tun sollte.
Finn führte sie nun abwärts aus den Wolken und
zur Stadt hinunter. Sie stießen herab wie Raubvögel,
und alle übrigen Verkehrsteilnehmer zerstreuten sich,
wo Finn und Emma zwischen hohen Bauwerken ent
langschossen und dabei auf den bockenden Aufwin
den stiegen und fielen. Der böige Wind legte bei die
ser Geschwindigkeit einen kräftigen Biss an den Tag
und trommelte kräftig auf die vorderen Kraftfelder
der Schlitten ein, aber wiederum war es die schiere
Größe der Stadt unter ihnen, die Emma den Atem
raubte. Schon zu dieser frühen Stunde, in der noch
das letzte Dämmerlicht aus dem Himmel sickerte,
wimmelten die Straßen von Menschen und Verkehr,
die wie Ameisen hin und her hasteten. Dichter Be
trieb herrschte auf den Straßen, aber die zentralen
Verkehrslektronen der Stadt lenkten alles mühelos
durch diesen erstaunlichen Irrgarten. Die Menschen
waren entweder auf dem Weg zur Arbeit oder auf
dem Heimweg von einer Nachtschicht in dieser
Stadt, die niemals schlief, niemals eine Pause einleg
te, niemals stockte. Und überall ringsherum ragten
Türme steil in den Himmel, ein aus solcher Nähe
überwältigendes Bild; wie Kunstwerke waren die
Wolkenkratzer gestaltet und funkelten von Lichtern
und meist auch blinkenden, lebhaften Werbeholo
grammen für die Menschen in der Tiefe. Die Stadt:
grenzenlos lebendig, energiegeladen und wachsam,
ein endloses Meer aus Stein und Stahl mit Facetten
aus schimmerndem Glas und Edelmetallen. Das
großartigste Juwel des Imperiums. Stolz und Staunen
platzten schier aus Emmas Herz hervor, weil sie Teil
einer solchen Stadt sein durfte. Derartiges fand man
nirgendwo auf Nebelwelt oder Xanadu. Nichts …
von solcher Intensität, Leben und Zielbewusstsein.
Finn ging auf noch geringere Flughöhe und nahm
jetzt auch Tempo zurück, bis beide Schlitten kaum
noch vier Meter über den Fußgängern auf den Haupt
straßen dahinjagten. Die Menschen blickten zu den
beiden Paragonen auf, und ein paar winkten und eini
ge von ihnen lächelten auch, aber die meisten Blicke
waren kalt, die Gesichter starr und grimmig. Als ob
sie es wären, die Urteile zu fällen hatten. Gar nicht
das, woran Emma Stahl gewöhnt war. Sie wusste,
dass sie im Ruf der Härte stand, und sie war stolz dar
auf. Stets jedoch hatte sie auch geprahlt, dass nur die
Schuldigen etwas von ihr zu befürchten hatten.
Finn lenkte seinen Schlitten dicht neben ihren.
»Kümmert Euch nicht um sie«, sagte er leichthin.
»Sie sind nur verwirrt. Sie kommen schon noch dar
über hinweg.«
»Sie sehen so aus, als würden sie uns hassen«,
sagte Emma. »Als könnten sie uns nicht mehr trauen.
Als wären wir gar keine Paragone mehr.«
»Erwartet niemals Dankbarkeit von den Men
schen, denen Ihr dient, Emma. Wir beschützen sie,
tun die Drecksarbeit für sie, wischen ihre Schweine
reien auf, aber sie danken uns nie dafür. Ihnen ist
egal, dass wir eine Arbeit tun, die niemand sonst zu
tun vermag, dass wir unser Leben dafür in die Waag
schale werfen, weil diese Arbeit nun mal geleistet
werden muss. Sie möchten das Blut und das Leid gar
nicht sehen, das mit unserem Beruf verbunden ist,
denn dann müssten sie einräumen, dass sie selbst ein
Teil des Problems sind. Wären sie allesamt saubere,
gesetzestreue Bürger ohne Schuld oder Geheimnisse
oder verborgene Begehrlichkeiten, dann bräuchten
sie uns nicht, oder?«
Emma wusste nicht, was sie zu irgendeinem seiner
Argumente sagen sollte. Sein Vortrag war hart und
zynisch und nicht allzu weit von dem entfernt, was
sie oft selbst dachte, aber … das hier war Logres!
Die Heimatwelt der Menschheit, das Herz der Zivili
sation. Hier sollte es anders zugehen. Und des Du
randals Verhalten war eindeutig seltsam. Man ge
wann den Eindruck, dass er das eine sagte und etwas
ganz anderes meinte und Emma vor die Aufgabe
stellte, daraus schlau zu werden. Beinahe schien es,
als … spielte er mit ihr.
Dieser Eindruck verstärkte sich nur, während die
Tour ihren Fortgang nahm, und Emma wurde rasch
klar, dass Finn hier nur ein Ritual abspulte. Gern
zeigte er ihr berühmte Sehenswürdigkeiten, aber er
lieferte ihr keine der harten Informationen, die sie
brauchte: wo hier die kritischen Stellen lagen und
wie man sie entschärfte; wer die führenden Schurken
waren und wo man sie fand; wer auf dem Weg nach
oben und wer auf dem Weg
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