Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
Gra
voschlitten der Spitzenklasse auf sie zu, stand auf
recht und stolz darauf, und der kalte Wind vermochte
ihm kaum die berühmten goldenen Locken zu zer
zausen. Der eine und einzige Finn Durandal. Er lan
dete mit dem Schlitten neben dem Emmas, stieg ele
gant aus und beehrte sie mit einer förmlichen Ver
beugung. Aus der Nähe wirkte er ganz und gar so
groß und gut aussehend und eindrucksvoll, wie sie
sich nur hatte erhoffen können, aber Emma konnte
nicht umhin zu bemerken, dass sich sein offenes Lä
cheln nicht auf die Augen erstreckte. Sie verbannte
diesen Gedanken jedoch und sagte sich, dass sie nur
sah, was ihr Argwohn zu sehen erwartete. Sie trat
vor, um ihm die gewohnte Umarmung angedeihen zu
lassen. Er erstarrte in ihren Armen, wurde ange
spannt und unnachgiebig, und sie gab ihn unverzüg
lich frei. Sie trat zurück, und ein Hauch von Verle
genheit verdunkelte ihre kaffeebraunen Wangen.
Lewis hatte sich nichts daraus gemacht …
»Willkommen auf Logres, Emma Stahl«, sagte
Finn. Es klang warmherzig und freundlich, aber ir
gendwie unverbindlich. »Tut mir Leid, dass ich mich
noch nicht gemeldet hatte, aber ich war sehr beschäf
tigt. Wirklich. Ihr habt ja keine Vorstellung! Logres
ist ein großer Planet mit riesiger Bevölkerung, und
jetzt, wo Douglas und Lewis nicht mehr dabei sind,
habe ich mir die Hacken abgelaufen. Nicht mal ich
kann überall zugleich sein. Trotzdem, jetzt begegnen
wir uns ja endlich. Als Partner. Ich freue mich schon
darauf, mit Euch zusammenzuarbeiten. Ich bin si
cher, wir können einander alle möglichen nützlichen
Dinge beibringen. Und es wird gut sein, dass mir
wieder jemand den Rücken deckt. Logres kann sich
als gefährlich für den erweisen, der nicht vorbereitet
ist. Also, steigt in Euren Schlitten, Emma, und ich
mache mit Euch die große Tour. Zeige Euch, wo es
langgeht. Damit Ihr einen Anfang machen könnt. Ich
bin sicher, dass Ihr alles ruckzuck verstehen werdet.
Verbrechen ist schließlich Verbrechen, und Schurken
sind Schurken, wohin immer man sich auch wendet.
Und nennt mich Finn; wir stehen hier nicht auf
Förmlichkeiten.«
Und das war es. Die gesamte Begrüßungs- und
Einführungsrede in weniger als einer Minute. Viel
Lächeln und Blickkontakt, aber keine echte Wärme.
Und auch keine echten Informationen. Nur eine kur
ze Präsentation, die er wahrscheinlich vor dem Spie
gel geprobt hatte, ehe er herkam. Lewis hatte ihr das
Gefühl vermittelt, willkommen zu sein, ein geschätz
ter Partner zu sein, auch wenn er die Neigung hatte,
über im Grunde wenig bedeutsame Dinge kräftig mit
den Flügeln zu schlagen. Emma nickte Finn ange
spannt zu und drehte sich zu ihrem Gravoschlitten
um. Bei Lewis hatte sie sofort gewusst, woran sie
war, aber einem Verständnis Finns war sie nicht nä
her gekommen.
Sie folgte ihm über die Stadt hinweg, und die bei
den Schlitten zogen hoch über den bereits dicht be
fahrenen Straßen ihre Bahn, fast schon in den Wol
ken. Der übrige Flugverkehr wich ihnen weiträumig
aus, von den flinken Kurieren auf ihren windschnitti
gen Boards bis hin zu massigen Frachtern, die zu
schwer für die Straße waren. Niemand winkte ihnen
zu oder schenkte ihnen sonst Beachtung, und nie
mand wollte ihnen nahe kommen. Emma schaute in
zwischen so finster drein, dass ihr die Stirn wehtat.
Als Paragon erwartete man Respekt, nicht Angst.
Etwas stimmte auf Logres ganz und gar nicht.
Und sie war ziemlich sicher, dass es an Finn Du
randal lag. Sie hatte sich sämtliche Dokumentarfilme
angesehen und auch die dramatischen Rekonstrukti
onen, hatte alle seine großen Fälle studiert und war
als Kind sogar Mitglied in seinem offiziellen Fanclub
gewesen. Er hatte zu seiner Zeit Erstaunliches geleis
tet, besonders als Partner von Douglas Feldglöck und
Lewis Todtsteltzer. Das Traumhafte Trio, so hatten
die Medien sie genannt. Finn hatte Emma für die
Gestaltung des eigenen Lebens Modell gestanden.
Aber dieser kalte, gelassene, fast kraftlose Mann mit
seinen leeren Worten und dem noch leereren Lächeln
entsprach in keiner Weise mehr der Legende. Nur ein
Mensch mit Muskeln und hübschem Gesicht und ein
paar eindrucksvollen Kampffertigkeiten.
Ganz anders als der Todtsteltzer, der zu keinem
Zeitpunkt hinter dem Bild des Kriegers zurückstand.
Emma hegte keinerlei Zweifel am Vorgehen des
Todtsteltzers beim Aufruhr. Wo andere Grausamkeit
erblickt hatten, war es für sie nur Leidenschaft gewe
sen. Wo andere ein Massaker gesehen
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