Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
wüsste er Dinge, die sich unserer Kenntnis ent
ziehen. Dinge, die kein verständiger Mensch wissen
möchte. Wir haben ihn jetzt seit wie vielen, seit zehn
Tagen hier? Und wir sind einem Begriff von dem,
was ihm fehlt, nicht näher gekommen. Was immer er
dort draußen am Rand gesehen oder gespürt hat, Eu
re Majestät, er kann oder möchte es uns nicht sagen.
Und wir haben keine Möglichkeit, ihn zu zwingen.«
»Was ist mit seinen Träumen?«, fragte Douglas.
»Könnt Ihr denen etwas entnehmen?«
»Er schläft nicht«, antwortete Dr. Benjamin.
»Niemals. Den Unterlagen meiner Vorgänger zufol
ge hat Donal die Augen nicht mehr geschlossen, seit
er hier aufgenommen wurde. Normalerweise würde
ein solch langer Schlafentzug eine ernsthafte Psycho
se auslösen, aber bei Donal … Er sagt, er möchte
nicht schlafen, damit sich der Schrecken nicht an ihn
heranschleichen kann. Ich glaube, dass er den Schlaf
durch schiere Willenskraft abwehrt. Was eigentlich
nicht möglich sein dürfte, aber na ja … Donal tut
vieles, was nicht möglich sein dürfte. Er versteht al
les, was andere über ihn sagen, selbst wenn sie nur
flüstern. Selbst wenn sie im angrenzenden Zimmer
flüstern. Und manchmal gibt er Antwort auf Fragen,
die wir ihm noch gar nicht gestellt haben.«
Darauf spitzte Krähenhannie die Ohren. »Hat man
ihn auf Telepathie oder andere Esperkräfte getestet?«
Dr. Benjamin konnte sich immer noch nicht über
winden, sie anzublicken, und wandte sich mit der
Antwort an Douglas. »Wir haben natürlich die gan
zen üblichen Tests gemacht. Und kein Ergebnis er
zielt, das irgendeinen Sinn ergäbe.«
Krähenhannie runzelte die Stirn. »Warum habt Ihr
Euch nicht an die Überseele gewandt? Wir hätten
Euch einen Experten geschickt.«
»Donals Verfassung ist schon schlimm genug,
auch ohne ihn noch einer Esper-Pfuscherei auszuset
zen!«, schimpfte Dr. Benjamin.
»Ah, na ja«, sagte Krähenhannie. »Solange ein
wissenschaftlicher Grund vorliegt …«
»Aber Ihr habt keine Einwände, dass ich ihn se
he?«, fragte Douglas rasch. »Zusammen mit meiner
Begleiterin?«
Der Doktor zuckte unglücklich die Achseln. »Ihr
müsst tun, was Ihr für richtig haltet, Eure Majestät.
Auf eigenes Risiko natürlich. Ich rufe jemanden, der
Euch zu Donal führt. Sobald sein derzeitiger Besu
cher gegangen ist …«
Douglas musterte ihn scharf. »Er hat schon Be
such? Mir hat man den Eindruck vermittelt, niemand
sonst hätte die nötige Erlaubnis erhalten!«
»Na ja, nein, aber es ist schließlich Angelo Bellini.
Ihr wisst schon – der Engel von Madraguda persön
lich. Charmanter Bursche. Hat sich höchstpersönlich
auf den Weg gemacht, nur um darauf zu achten, dass
sich jemand um Donals geistliche Bedürfnisse küm
mert. Er … gab mir zu verstehen, er täte es mit offi
ziellem Einverständnis. Ist das nicht der Fall?«
»Nein«, entgegnete Douglas grimmig. »Das ist
verdammt noch mal nicht der Fall!«
Donal Corcoran war auf einer Hochsicherheitsstation
untergebracht, obwohl er das wahrscheinlich gar
nicht bemerkte. Alle Welt neigte dazu, jede Äuße
rung über Corcoran um das Wort wahrscheinlich zu
ergänzen, denn niemand vermochte mit Gewissheit
zu sagen, was dieser Patient bemerkte oder nicht.
Das wechselte auch leicht, ganz unvermittelt und oh
ne Vorwarnung. Jedenfalls sah seine Umgebung gar
nicht nach Krankenhausstation oder Gefängniszelle
aus, obwohl sie eindeutig beides war. Man wollte
Corcoran glauben machen, er würde in einem siche
ren Landhaus versorgt, umgeben von weitläufigen
Gärten, in denen er spazieren gehen konnte. Man
verwandte viel Mühe auf diese Illusion der Freiheit.
Tatsächlich setzte sie sich überwiegend aus Holo
grammen zusammen, unterstützt von versteckten
Kraftfeldern, um einer Flucht vorzubeugen. Die Illu
sion fiel wirklich sehr überzeugend aus, war aufge
rüstet mit modernsten optischen und akustischen Ef
fekten, ja sogar all den richtigen Düften eines Gar
tens, der in voller Blüte stand. Vögel schienen zu
singen, Insekten zu summen, und erfrischende Brisen
kamen und gingen auf regelmäßiger Basis. Jedenfalls
wirkte die angenehme Sommerhitze völlig überzeu
gend auf Angelo Bellini, während er in Donal Corco
rans Gesellschaft durch den Garten schlenderte und
leise mit ihm über dies und das plauderte.
Der Engel war als Vertreter der Amtskirche er
schienen, vorgeblich, um Corcoran in dieser Zeit der
Prüfungen geistlichen Beistand zu spenden, aber tat
sächlich,
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