Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
insge
samt. Nur dass von einem Zufall keine Rede sein
konnte. Das Parlament gedachte Douglas ins kalte
Wasser zu werfen, um zu sehen, aus welchem Holz
er geschnitzt war. Sämtliche Medien würden zuge
gen sein. Nicht nur die rund um die Uhr sendenden
Nachrichtenkanäle, die bei Nachrichten- und Politik
junkies so beliebt waren, sondern auch die Klatschund Starsender. Falls der neue König dem politischen
Prozess seinen Stempel aufdrückte oder flach auf die
Nase fiel und sich komplett zum Esel machte, wollte
alle Welt das miterleben. Live. Es versprach das
größte Publikum für das Parlament seit Monaten zu
werden, und die ehrenwerten Abgeordneten ver
wandten noch mehr Zeit als sonst auf ihre Erschei
nung, um sicherzustellen, dass sie auf ihre Anhänger
zu Hause auch den besten Eindruck machten.
Solcherart war die Fassade der modernen Politik,
und die meisten Leute waren zufrieden. Nie bekamen
sie das Labyrinth aus Nebenzimmern und schmalen
Korridoren zu sehen, aus denen das Parlamentsge
bäude überwiegend bestand und wo all die Men
schen, die das Imperium tatsächlich regierten, in
kleinen Gruppen zusammentrafen, mit Papieren we
delten, heftig stritten, Unmengen schlechten Kaffees
tranken und die tatsächlichen Entscheidungen der
Alltagspolitik ausheckten. Die Abgeordneten ent
schieden vielleicht über die Rahmenbedingungen der
Politik, aber es war die kleine Armee von Berufsbe
amten, die festlegte, was geschah und wann es ge
schah, und der Himmel mochte jeden Abgeordneten
schützen, der töricht genug war, das zu vergessen.
Die tatsächliche Macht liegt nie dort, wo man sie er
wartet, und wie im Showgeschäft ist das, was hinter
den Kulissen geschieht, ebenso wichtig wie das, was
das Publikum auf der Bühne zu sehen bekommt.
In einem dieser kleinen Nebenzimmer, ein gutes
Stück abseits der Hauptgezeiten, waren der neue Kö
nig und seine Mitarbeiter damit beschäftigt, seinen
ersten Tag als Parlamentspräsident vorzubereiten.
Um es präziser zu schildern: Douglas Feldglöck saß
zusammengesunken auf einem Stuhl in der Ecke,
während alle anderen geschäftig herumeilten und
sich für die Sitzung des Tages fit machten. Douglas
trug seine königlichen Gewänder, aber sie wirkten
schon zerknittert und unordentlich, als hätte er darin
geschlafen. Die Krone hatte er abgesetzt und auf ei
nem Aktenschrank deponiert, denn ihr Gewicht
machte ihm Kopfschmerzen, und er rieb sich an einer
wunden Stelle auf der Stirn. Sein Stirnrunzeln ver
tiefte sich langsam, während er sich beharrlich durch
den dicken Stoß Papiere arbeitete, die ihm Anne
Barclay in die Hand gedrückt hatte, kaum dass er
eintrat. Dies ergänzte noch den ganzen Papierkram,
denn er auf ihr Drängen am Abend zuvor hatte bear
beiten müssen. Information war Munition, und er
konnte sich nicht erlauben, auf dem falschen Fuß er
wischt zu werden, wenn ein Abgeordneter ihm vom
Parkett aus eine gezielte Frage stellte. Abgeordnete
konnten sich spezialisieren, aber vom König wurde
erwartet, dass er alles wusste oder es zumindest
überzeugend vorspielen konnte.
Lewis Todtsteltzer, der neue Champion, kontrol
lierte ein letztes Mal die Sicherheitssysteme und trat
dann unbehaglich an Douglas’ Seite. Unbehaglich
vor allem aufgrund der neuen Champion
Aufmachung, die zu tragen Anne von ihm verlangt
hatte. Sie hatte sie speziell für ihn entworfen, und
Lewis wünschte sich wirklich, sie hätte es nicht ge
tan: eine schwarze Lederrüstung, sehr figurbetont,
mit einer stilisierten Krone als Basrelief auf der
Brust, direkt über dem Herzen. Lewis fand, dass sie
eine großartige Zielscheibe abgab. Außerdem zwick
te das Leder an all den falschen Stellen und knarrte
laut, wann immer er sich bewegte. Wenigstens führte
er nach wie vor die vertrauten Waffen mit, Schwert
und Pistole, beruhigende Gewichte an den Hüften,
jederzeit griffbereit. Anne hatte versucht, ihm ir
gendein schrilles Zeremonienschwert aufzuschwat
zen, aber es gab Grenzen. Juwelenüberkrustete Griffe
lagen schlecht in der Hand.
Jesamine Blume, die angehende Königin, flatterte
wie ein hinreißender Schmetterling durch das enge
kleine Zimmer und gab eine prachtvolle Erscheinung
ab in fließenden Pastellfarben und klimperndem
Schmuck. Hier und da blieb sie stehen, wann immer
etwas ihr Interesse weckte. Das Haar hatte sie zu ei
nem Knoten gebunden, und das Make-up war heute
relativ bescheiden, aber sie war trotzdem eine leuch
tende und betörende Gestalt.
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