Green, Simon R. - Todtsteltzers Rückkehr
unbeeindruckt blieb von James.
Dieser überlebensgroße Held auf dem Bildschirm
war nicht der lockere, intelligente und tief moralische
Mensch, von dem Douglas ein Leben lang gehört
hatte. Dieser neue James war einfach zu perfekt. Er
hatte immer genau das richtige Wort auf den Lippen,
selbst wenn es bei näherem Hinsehen anscheinend
gar nicht mehr so bedeutungsschwer war. Er wusste
stets die richtige Antwort, selbst wenn sie gar nicht
zur Frage passte. Er war fantastisch, was spitze Sentenzen anging, die er mit strahlendem Lächeln und
einem Hauch von Blinzeln hervorbrachte, und das
Publikum fraß ihm aus der Hand.
Douglas fand, dass James’ Auftritte doch etwas
übertrieben einstudiert wirkten und er dabei nach wie
vor in persönlichen Dingen nicht besonders gut abschnitt. Er war toll darin, Hände zu schütteln und interessierte Fragen zu stellen, aber er vermochte ums
Verrecken nicht zu improvisieren. Zum Glück hatte
er immer ein paar Leute Finns zur Hand, die ihn zu
dringenden Aufgaben entführten, falls erkennbar
wurde, dass James nicht mehr recht weiterwusste.
Douglas hielt ihn für hohl, seinen Charme für oberflächlich, den Kopf bar jeden Gedankens, den nicht
ein anderer dort platziert hatte. Douglas verdaute nur
schwer, dass niemand sonst es bemerkte. Geblendet
waren sie alle … vermutete er. Seit jenem ersten Tag
hatte man ihm nicht mehr erlaubt, James zu treffen,
aber er bohrte hartnäckig weiter. Früher oder später
mussten Finn und Anne die beiden Brüder schließlich
wieder zusammentreffen lassen, weil es andernfalls
entschieden seltsam gewirkt hätte. Und wenn es
schließlich so weit war, gedachte Douglas, eine ganze
Latte wirklich peinlicher Fragen vorbereitet zu haben.
Er zweifelte nicht mehr daran, dass James irgendeine Art von falschem Fuffziger war. Trotz der Einstudierung unterliefen James nach wie vor zuzeiten
sachliche Irrtümer hinsichtlich seines Lebens vor
dem Unfall. Vielleicht nur Details, die lediglich anderen Mitgliedern vom Clan Feldglöck auffielen,
aber für Douglas waren sie sofort erkennbar, denn in
all seinen jungen Jahren war er mit dem berühmten,
toten älteren Bruder verglichen worden (gewöhnlich
unvorteilhaft). Wenn James gelegentlich bei einem
Irrtum ertappt und vom Interviewer darauf angesprochen wurde, drehte er nur sein Lächeln eine weitere
Kerbe hoch und führte das unsichere Gedächtnis auf
Probleme zurück, die von den Kopfverletzungen
beim Unfall geblieben waren. Und niemand hakte
dann noch nach, um ja nicht den Anschein zu erwecken, er schikaniere einen Invaliden.
Unzweifelhafter Höhepunkt von James’ Medienrunden war ein Gastauftritt in der populärsten Videosoap: Die feine Gesellschaft. Inzwischen war die Serie in der triumphalen fünften Staffel und wurde
zweimal täglich ausgestrahlt, begleitet von Zusammenfassungen am Wochenende. Die feine Gesellschaft präsentierte eine hochgradig idealisierte
Sichtweise von Sünde, Skandal und schockierenden
Kostümen in der Aristokratie von Löwensteins Zeit.
Im ganzen Imperium war es geradezu ein Pflichtprogramm, und sei es auch nur, um überhaupt mitreden
zu können.
James spielte seinen Ahnen Finlay Feldglöck –
und er spielte ihn schlecht. Er besaß Charme, aber
kein Talent, und sein Schauspiel war hölzerner als
die meisten Möbel. Niemand störte sich jedoch daran. Man sah sich eine Soap wie Die feine Gesellschaft ohnehin nicht wegen der schauspielerischen
Leistungen an. James bildete das Gegenstück zum
unumstrittenen Star der Serie, der fast unmöglich
schönen und strahlenden Schätzchen Mackenzie, die
die Rolle der flatterhaften Salonschönheit Chantelle
spielte. Sie war selbst keine überragende Schauspielerin, aber niemand scherte sich einen Dreck darum,
da man von ihr wahrhaftig behaupten konnte, dass
sie, wäre sie noch ein klein wenig kurvenreicher gewesen, schon als vierdimensionales Phänomen hätte
gelten können. Solange sie lächelte, tief atmete und
bei jeder Wendung der Geschichte ihre Kleidung zu
verlieren drohte, sahen die Leute weiter zu. Also umschwebte Schätzchen James auf geziemende Art, und
dieser las dabei seinen Text brav vom Idiotenmonitor
ab und konzentrierte sich darauf, gut auszusehen.
Die Episode erzielte die höchste Einschaltquote in
der Geschichte der Serie.
Douglas stellte den Bildschirm ab und betrachtete
sich selbst kritisch im Spiegel. Er sah gut aus. Er hatte alle überflüssigen Pfunde verbrannt und sah wieder
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