Green, Simon R. - Todtsteltzers Rückkehr
etwas tun?«, fragte Finn. »Welchem Zweck dient das?«
»Ich sagte Euch schon«, erinnerte Ramirez ihn.
»Das Labyrinth ist fremdartig.«
In der nächsten Zelle rannte ein Mann unmöglich
schnell hin und her, sodass man fast nur einen verschwommenen Eindruck hatte. Er hämmerte mit den
Fäusten an die Wände, und die Fäuste zerbrachen
fortwährend und bluteten und heilten jeweils sofort
wieder. Die Lippen waren zu einem unaufhörlichen
lautlosen Schrei verzogen, und die Augen drückten
völligen Irrsinn aus.
»Er kann das ganze Imperium denken hören«, erklärte Ramirez. »Aber er kann nichts davon auch nur
einen Augenblick lang ausblenden. Er weiß nicht mal
mehr, wer er ist; seine Identität wurde unter dem
Gewicht so vieler anderer zerdrückt.«
Finn blickte Dr. Glücklich an. »Könntet Ihr ihm
helfen?«
»Ich könnte eine Menge Spaß haben, wenn ich es
versuchte«, antwortete der gute Doktor.
Die nächste Zelle barg einen Mann, der sich die
Augen herausgerissen hatte. Blut aus den leeren Augenhöhlen strömte unablässig über die zuckenden
Wangen. Der verletzte Kopf wandte sich jedoch zielsicher Finn zu, als dieser sich dem Kraftfeld näherte.
Als Finn stehen blieb und hineinblickte, trat der blinde Mann vor ihn.
»Ich muss sie immer wieder herausreißen«, sagte
er heiser. »Weil sie immer wieder nachwachsen. Ich
sehe Dinge. Entsetzliche Dinge. Ich sehe andere Daseinsebenen, andere Dimensionen, andere Wirklichkeiten. Ich sehe die grauenhaften Dinge, die dort leben und sich winden und wenden, und die grauenhaften Dinge, die sie tun möchten, falls sie nur mal einen Weg hierher finden. Ich habe die Antworten auf
die ältesten Fragen der Menschheit erblickt und auf
Geheimnisse, von denen wir nie hätten erfahren dürfen … und ich kann einfach nicht aufhören, derlei zu
sehen! Ich reiße mir die Augen heraus, und ich sehe
sie nach wie vor!« Finn wich unwillkürlich zurück,
und der Mann in der Zelle fachte hysterisch. Das Gelächter folgte ihnen auf ihrem weiteren Weg den Flur
hinab zur nächsten Zelle.
Deren Insasse veränderte sich fortwährend. Er
stand nur da und verwandelte sich so schnell von einer Frau in einen Mann und dann in ein Kind und
dann wieder etwas anderes, dass man dem Vorgang
kaum folgen konnte. Klein und groß, dick und dünn,
von jeder Rasse und Farbe der Menschheit, alles und
jedes, in stetem Wandel.
»Wir haben keine Ahnung, ob irgendetwas davon
reale Personen abbildet«, sagte Ramirez. »Ob es Kopien von Personen auf anderen Planeten sind oder
von Personen auf anderen Zeitebenen, wie sie die
selige Hazel D’Ark angeblich hervorgebracht hat,
oder ob das alles einfach der Vorstellungskraft des
Originals entspringt. Keiner ist je lange genug geblieben, um ihm Fragen zu stellen. Und ehe Ihr fragt:
Aufzeichnungsgeräte funktionieren nicht durch das
Kraftfeld. Keines unserer Instrumente tut das. Wir
können keinen der Überlebenden irgendeinem Test
unterziehen. Ich weiß nicht, ob das ihrem oder unserem Schutz dient.«
»Seid nicht so defätistisch, Doktor«, empfahl ihm
Finn. »Mir ist schon eine Idee gekommen. Aber machen wir erst mal weiter, ja wirklich.«
Der Insasse der nächsten Zelle schlief tief und fest
und hatte sich dazu wie ein Fötus zusammengerollt,
schwebte jedoch einen guten halben Meter über dem
Fußboden. Hinter den geschlossenen Lidern bewegten sich die Augen unablässig.
»Er schläft und träumt jetzt seit zweihundert Jahren«, berichtete Ramirez. »Was das wohl für Träume
sind, nachdem er so lange jeder Wirklichkeit entfremdet ist? Wir wissen nicht, ob er je aufwachen
wird oder wozu er sich dann womöglich in der Lage
sieht. Vielleicht holt er sich durch die Träume seine
geistige Gesundheit zurück.«
Die nächste Zelle barg einen mörderischen Psychopathen von solch erbarmungsloser Wildheit, dass sogar
Finn beeindruckt war. Der Überlebende des Labyrinths
tobte in seiner Zelle hin und her und ermordete dabei
eine nicht endende Zahl von Menschen, die anscheinend aus dem Nichts auftauchten, nur um zu sterben
und wieder zu verschwinden. Das Gesicht des Killers
war dunkelrot vor Zorn, während er die Menschen zu
Tode prügelte oder sie erwürgte oder ihnen ein
Gliedmaß nach dem anderen herausriss.
»Auch hier wissen wir wieder nicht, ob die anderen Leute real sind«, sagte Ramirez. »Aber er tötet
sie seit zweihundert Jahren nonstop auf immer grässlichere und einfallsreichere Art – Falls die Kraftfelder der Zelle
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