Gregor Bd. 5 - Gregor und das Schwert des Kriegers
überhaupt vorstellen, wie es für Deine Familie ist, wenn Du verschwindest?
Gregor hatte das Gefühl, als hätte ihm jemand in den Magen geboxt. Und ob er sich das vorstellen konnte! Hatte er nicht selbst zweieinhalb Jahre lang auf seinen Vater gewartet? Und machte die Situation seiner Familie ihm nicht jedes Mal, wenn er unterwegs war, zu schaffen?
Nun bist Du in Regalia, sonst würdest Du diese Zeilen ja nicht lesen. Das ist ein guter Moment, um einen Schritt zurückzutreten und sich alles noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Ich weiß, dass Du auf das meiste, was Dir da unten passiert, keinen Einfluss hast. Ich weiß, dass Du nur das tust, was Du für richtig hältst. Aber Deine Familie leidet. Ich will nur sagen: Pass auf, dass Du nicht umkommst, sonst hast Du hinterher eine Menge zu erklären.
Alles Liebe,
Mrs Cormaci
Warum hatte sie geschrieben, er solle aufpassen, dass er nicht umkam? Das klang ja fast so, als hätte sie die Prophezeiung gelesen. Aber wenn es so wäre, dann wüsste sie, dass er auch darauf keinen Einfluss hatte. Und der letzte Satz … der war ja völlig unsinnig. Warum schrieb sie so was? Vielleicht sollte es ein Witz sein. Aber das sah Mrs Cormaci gar nicht ähnlich. Moment, unten auf dem Zettel stand noch etwas …
PS: Lizzie hat mir geholfen, die Kekse zu backen. Sie sagt, Du sollst sie mit der Ratte teilen.
Dann war Lizzie also aus dem Ferienlager zurück. Er konnte sich denken, dass sie völlig fertig war. Schon unter normalen Umständen war sie ein ängstlicher Mensch. Er sah sie vor sich, mit sorgenvoll gerunzelter Stirn – so durfte eine Achtjährige einfach nicht aussehen. Die kleine, dürre, hibbelige Lizzie, die viel zu schlau für ihr Alter war. Wie sie sich Sorgen machte um ihn und Boots. Und um die Mutter und den Vater. Und sogar um den grantigen alten Ripred.
Wenn ich Lizzie das nächste Mal sehe …, dachte Gregor. Und da wurde ihm klar, dass er sie nie wiedersehen würde. Und auch nicht die anderen zu Hause. Weil er das Unterland nicht mehr verlassen würde. Er würde hier sterben …
Gregor sah, wie der Zettel aus seiner Hand glitt und zu Boden schwebte. Und in diesem Moment trafen ihn Sandwichs Worte mit voller Wucht.
Ist der Krieger endlich tot
Das Zimmer drehte sich, Gregor musste sich an einem Regal festhalten, um nicht umzukippen. Er hatte einen gewaltigen Druck in der Brust, als drohe er in tausend Stücke zu zerspringen, und er bekam keine Luft. Nein! Ich will nicht! Ich will nicht sterben!, dachte er. Er begann am ganzen Körper zu zittern; er versuchte die Bedrohung wegzuschieben, aber sie war zu stark. Ich kann nicht, es geht nicht. Ich muss nach Hause. Luxa hatte recht. Es war zu viel, was da von ihm verlangt wurde. Alles, was er besaß, den Unterländern zu opfern, sein Leben, seine Zukunft. Ich muss hier raus. Ich schnappe mir Boots und meine Mutter und kehre zurück nach Hause und … schaue … nie … zurück!
Einen Augenblick lang dachte er wirklich, das wäre möglich. Aber was dann? Was? Was war dann mit allen hier unten, die er gernhatte? Sie würden alle sterben, so stand es in der Prophezeiung. Das konnte er nicht zulassen. Unmöglich. Also dann …
Gregor sank keuchend zu Boden, er bebte am ganzen Körper. Er versuchte sich zusammenzureißen. Das musste aufhören! Er konnte nicht jedes Mal ausflippen, wenn er daran dachte, was ihm bevorstand. An alle, die er nie wiedersehen würde, an alles, was er nie tun würde. Dann wäre er zu nichts zu gebrauchen. Er musste an irgendetwas denken, woran er sich festhalten konnte. Das ihm Kraft gab. Bilder von seiner Familie schwirrten durch seinen Kopf, von seinen Freunden, von Orten und Dingen, die er liebte. Nichts half.
Dann fiel ihm der steinerne Ritter in dem Museum ein. Kalt, hart, unbeugsam, nichts konnte ihm noch etwas anhaben. Vor langer Zeit hatte der Ritter gekämpft … war vielleicht auch ineiner schrecklichen Schlacht gefallen … jeder musste irgendwann einmal sterben … aber jetzt war er unverwundbar. Schlief auf seinem Marmorbett. Wohlbehalten. Friedlich sogar. Der Gedanke an den Soldaten aus einer anderen Zeit tröstete Gregor auf eine Weise, wie nichts Lebendes es vermochte. Der Ritter hatte Schlimmes durchgemacht, aber jetzt war es vorbei und er war an einem Ort, wo ihm niemand mehr etwas anhaben konnte. Allmählich wurde das Zittern schwächer. Gregor atmete ein und der Schmerz in seiner Brust ließ nach. Das bin ich. Von jetzt an muss ich immer daran denken,
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