Gregor und der Spiegel der Wahrheit
Rücken im Moos.
»Dann ist es deiner Aufmerksamkeit wohl entgangen, dass wir uns von dir nichts befehlen lassen!«, sagte Mange.
Ripred sprang auf die Füße und machte einen Satz auf die beiden Ratten zu. Sie duckten sich und warteten auf den Angriff, aber er sagte nur: »Wir setzen diese Unterredung besser in den Tunneln fort.«
»Es ist nicht, wie es sein sollte, doch wenn die Huscher nicht dabei sein können, fehlen nur noch Doktor Neveeve und Solovet«, sagte Vikus. »Ah, da sind sie ja schon.«
Aus Richtung Regalia kam eine Fledermaus mit Doktor Neveeve und Solovet in die Arena geflogen. Die beiden stiegen ab.
Solovet erklärte die Besprechung für eröffnet und bat Neveeve, über die Pest zu berichten. Die Ärztin nahm ein großes Lederbuch vom Rücken der Fledermaus, legte es ins Moos und kniete sich davor. Das Buch war nur etwa dreißig Zentimeter hoch, aber mindestens einen Meter breit und sehr dick. Als Neveeve es aufschlug, hörte Gregor das Pergament rascheln.
»Ich habe alte Aufzeichnungen durchforstet, um Parallelen zwischen dieser und vergangenen Seuchen zu finden«, sagte Neveeve. »Vor etwa zweihundertfünfzig Jahren gab es eine Epidemie, die der Seuche der Warmblüter sehr ähnlich war. Und eine weitere vor gut achtzig Jahren. In beiden Fällen traten Fieber, schmerzhaftes Atmen und große violette Beulen auf der Haut auf. Im Unterland starben Tausende daran.«
»Ist ja reizend. Wird vielleicht auch ein Heilmittel erwähnt?«, sagte Ripred.
Neveeve blätterte um, und sie sahen die Tuschezeichnung einer Pflanze mit auffälligen sternförmigen Blättern. »Diese Pflanze. Sie heißt Sternschatten. Es gibt nur ein einziges Feld, auf dem sie wächst.«
»Die hab ich noch nie gesehen«, sagte Lapblood. »Sie muss im Überland wachsen.«
»Nein, den Aufzeichnungen zufolge wächst sie genau dort, wo die Pest zum ersten Mal aufgetaucht ist«, sagte Neveeve.
»Wer die Wiege des Übels sucht, findet das Mittel gegen den Fluch«, zitierte Vikus aus der Prophezeiung.
»Auf der Insel mit den Mücken?«, fragte Gregor. Er konnte sich nicht vorstellen, wie sie von dort das Heilmittel besorgen sollten. Die Mücken würden sie im Nu auffressen.
»Nein, Gregor. Das ist eine neue Insel, und wie Neveeve sagte, tauchte die Pest schon vor Jahrhunderten auf. Möglicherweise brachten die Mücken die Pest auf die Insel, doch sie ist nicht die Wiege«, sagte Vikus.
»Wo dann?«, fragte Mange.
»Es scheint so, als liege die Wiege in der Talsohle des … des Weingartens der Augen«, sagte Neveeve.
Mit einem Mal herrschte Totenstille. Schließlich sagte Lapblood: »Wenn wir in den Weingarten gehen sollen, können wir uns auch gleich aufhängen.«
»Und doch hattet ihr keine Skrupel, die Huscher dorthin zu treiben«, sagte Königin Athene.
»Die Huscher konnten sich das ganze Unterland aussuchen«, sagte Mange.
»Was denn? Das Land des Todes? Die Feuerspitzen?«, gab Solovet zurück.
»Das musst du gerade sagen, Solovet, so, wie die Dinge liegen«, sagte Lapblood.
»Bitte!«, sagte Vikus, um den Streit zu beenden. »Bedenkt, dass unser aller Leben auf dem Spiel steht. Neveeve, wächst diese Pflanze an keinem anderen Ort?«
»Man hat versucht, sie auf den Feldern von Regalia anzupflanzen, doch sie ist eingegangen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als sie in großen Mengen im Weingarten zu ernten und daraus ein Extrakt für eine Arznei herzustellen.«
»Wir sollen in den Weingarten gehen und euch helfen, das Heilmittel zu finden, doch was garantiert uns, dass wir es je zu Gesicht bekommen?«, sagte Lapblood. »Wir Nager sterben jetzt schon! Durch euch! Die Pest breitet sich rasend schnell in unseren Tunneln aus! Heute erfahren wir, dass ihr ein gelbes Pulver gegen die Flöhe habt, die die Pest verbreiten. Doch habt ihr es uns geschickt?«
»Ihr habt uns angegriffen«, sagte Solovet eisig. »Und jetzt, da ihr die Folgen zu spüren bekommt, jammert ihr.«
»Wir und jammern?«, fauchte Lapblood. Sie ging in Angriffsposition, Mange ebenfalls. Solovets Hand fuhr zum Griff ihres Schwerts.
Gregor begriff nicht so ganz, was da vor sich ging, aber es war klar, dass die Dinge aus dem Ruder liefen.
Ripred trat zwischen Solovet und die wütenden Ratten. »Das Blatt wird sich wenden, Solovet«, sagte er ruhig. »Denk an diesen Augenblick, wenn eure eigenen Jungen vor Hunger weinen und die Pest ihre Herzen zum Stillstand bringt. Jetzt schon liegt dein Enkel im Krankenhaus hinter einer Glasscheibe.«
»Und was ist
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