Gregor und der Spiegel der Wahrheit
Prophezeiung dich doch finden«, hörte er seine Großmutter sagen.
O ja, sie hatte ihn gefunden. Und ihm die Zähne ins Fleisch geschlagen. Und würde ihn erst wieder loslassen,wenn alles Schreckliche überstanden war. Seine Mutter war mit der Pest infiziert. Jetzt musste der Krieger sich mit der Prinzessin auf die Suche nach dem Heilmittel machen.
Gregor hätte am liebsten in die Welt hinausgeschrien, dass es doch reichte, wenn Ares, Howard und Andromeda krank waren. Er hätte es schon irgendwie geschafft, mit auf die Suche zu gehen. Aber seine Mutter hätte nie zugelassen, dass Boots mitkam zum … wie hieß er noch gleich, Weingarten der Augen? Damit sich die Prophezeiung erfüllen konnte, musste seine Mutter außer Gefecht gesetzt werden. In Quarantäne gesteckt. Ein Opfer der Pest. Ja, im Sinne der Prophezeiung lief alles wie am Schnürchen.
Er war jetzt schon erschöpft beim Gedanken an die Verantwortung, die ihn erwartete. Er war es so leid, immer wieder ins Unterland hineingezogen zu werden. Dass die Unterländer von ihm die Lösung ihrer Probleme erwarteten. Und dass seine Familie darunter leiden musste, obwohl sie damit eigentlich gar nichts zu tun hatte.
Nachdem sicher war, dass Boots und er keine Flohbisse hatten, bekamen sie neue Kleider aus Unterlandseide. Gregor schaffte es, seine geliebten Stiefel zu retten, aber bevor er sie wiederhaben konnte, mussten sie erst nach Flöhen untersucht und desinfiziert werden. Während sie auf einer Bank im Krankenhaus saßen und auf die Untersuchungsergebnisse der anderen warteten, nickte Boots an Gregors Schulter ein. Kein Wunder, sie hatte nur ein paar Stunden geschlafen. Vikus schickte nach Dulcet, dem Kindermädchen, das sich auch schon bei früheren Besuchen um Boots gekümmert hatte.
Dulcet nahm Gregor die schlafende Boots aus den Armen und berührte ihn an der Schulter. »Es tut mir so leid mit deiner Mutter. Doch verliere nicht den Mut. Du wirst das Heilmittel finden. Dessen bin ich mir sicher.«
Sie sagte es so mitfühlend, dass Gregor fast zusammengebrochen wäre und ihr gesagt hätte, dass er das Heilmittel einfach finden musste . Dass seine Mutter leben musste . Dass seine ganze Familie auseinanderbrechen würde, wenn seine Mutter sie nicht zusammenhielt. Dass sie nicht sterben durfte, weil er sich die Welt ohne sie nicht vorstellen konnte. Und dass es seine Schuld wäre … wenn sie so einen schrecklichen Tod sterben müsste … die lila Beulen … das Ringen um Luft … weil er unbedingt ins Unterland wollte … und sie nicht.
Doch er sagte nur: »Danke, Dulcet.«
Nachdem alle Teilnehmer der Besprechung eingehend untersucht worden waren, wurden drei in Quarantäne geschickt: Gregors Mutter und zwei Fledermäuse namens Kassiopeia und Pollux.
Gregor sah Neveeve am Ende des Flurs, wie sie etwas auf ein Klemmbrett schrieb. Er ging zu ihr und berührte sie am Arm.
»Ah!«, schrie sie. Ihr Arm zuckte zur Seite und der Federkiel, mit dem sie geschrieben hatte, hinterließ einen großen Tintenklecks auf dem Pergament.
»Entschuldigung«, sagte Gregor. Neveeve war wirklich schreckhaft. Es war natürlich auch keine Kleinigkeit, sich tagaus, tagein um Pestpatienten zu kümmern.
»Können Sie mir sagen, wo meine Mutter ist?«, fragte er.
»Sie liegt auf der Isolierstation«, sagte Neveeve. »Komm mit, sie schläft, aber du kannst sie sehen.«
Sie führte Gregor durchs Krankenhaus.
»Weiß sie, dass Boots und ich nicht gebissen worden sind?«, fragte Gregor.
»Ja. Dennoch war sie höchst erregt«, sagte Neveeve und rieb sich mit den Fingern über ihr Augenlid, das offenbar zuckte. »Ich habe ihr ein Beruhigungsmittel gegeben.« Gregor dachte sich, das könnte Neveeve auch nicht schaden, aber er sagte es nicht.
Seine Mutter lag in einem Einzelzimmer auf demselben Flur wie Ares, Howard und Andromeda. Gregor schaute durch die Scheibe und sah, dass das gelbe Pulver abgewaschen worden war. Sie trug einen weißen Schlafanzug. Wie sie da in dem Krankenbett lag, sah sie klein und verletzlich aus. Es war gut, dass sie schlief. Sonst würde sie Gregor befehlen, nach Hause zurückzukehren, und er müsste ihr sagen, dass Boots und er jetzt nicht zurückkonnten, und dann würde sie ausrasten. Also prägte er sich ihr Bild ein. Wenn dies nun das letzte Mal wäre, dass er sie sah?
Er schüttelte den Gedanken ab und wandte sich an Neveeve. »Ich brauche Ihre Hilfe. Sie müssen mir alles erzählen, was Sie über diese Pest wissen.«
»Ich wollte gerade ins
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