Gregor und der Spiegel der Wahrheit
sollten wir Boots’ Rolle fehlgedeutet haben. Mit Solovet und dem ihr verbundenen Ajax ist die Gruppe der Menschen und Flieger vollständig. Ripred, Mange und Lapblood reisen als Vertreter der Nager. Und da Sandwich die Krabbler ausdrücklich erwähnt, hat Temp tapfer seine Dienste angeboten.«
»Den Krabbler müssen wir doch nicht unbedingt mitschleppen, oder?«, fragte Mange.
»Ich schätze, wir können ihn immer noch auffressen, falls uns die Vorräte ausgehen«, sagte Lapblood.
Einige Fledermäuse und Menschen lachten über die Bemerkung. Sie machten sich immer über die Kakerlaken lustig.
Temp sagte nichts, doch er zitterte leicht vor Angst.
Gregor sah Lapblood fest in die Augen. »Vielleicht essen wir ja auch dich. Ich hab noch nie Ratte gegessen. Aber mit der richtigen Soße dazu, wer weiß?«
Jetzt lachte nur einer: Ripred. »Na, langweilen werden wir uns auf der Reise jedenfalls nicht.«
»Bis jetzt«, zischte Lapblood, »gibt es noch gar keine Reise. Wir müssen erst mal überzeugt werden, dass wir etwas davon haben.«
»Der Rat hat zugestimmt, die Fischgründe im Westen zu öffnen«, sagte Vikus. »Das dürfte für die Nager genügend Nahrung bedeuten.«
»Und das gelbe Pulver?«, fragte Mange. »Das die Flöhe tötet?«
Die Antwort der Menschen war Schweigen. Dann meinte Gregor Vikus seufzen zu hören.
»Ohne Pulver keine Hilfe«, sagte Lapblood.
Was? Sollte das ganze Unternehmen daran scheitern, dass die Menschen den Ratten kein Flohpulver schicken wollten? War das denn so viel verlangt? Gregor dachte an die lila Beulen, wie sie aufplatzten und Eiter und Blut heraustraten …
Er sprang auf und schrie dem Rat entgegen: »Schickt ihnen das Pulver! Mann! Habt ihr Ares nicht gesehen? Habt ihr nicht gesehen, was die Pest anrichtet? Egal, wie sehr ihr die Ratten hasst, wollt ihr sie so krepieren lassen?«
Die Frage hing lange in der Luft, bevor jemand etwas sagte.
»Du hast ein verzeihendes Herz, Gregor der Überländer«, sagte Solovet.
Das stimmte nicht. Gregor wollte zwar nicht, dass die Ratten so qualvoll starben. Er dachte an den Ausdruck: »Das wünsche ich meinem ärgsten Feind nicht.« Doch er hatte ihnen nicht verziehen, was sie seinem Vater angetan hatten und Tick und Twitchtip und Aurora und Luxa. Er hatte eine ganze Liste mit Dingen, die er ihnen nie verzeihen würde.
»Nein, hab ich nicht«, sagte Gregor bitter. »Aber ich habe eine Mutter und einen Freund, die beide die Pest haben. Euer Krankenhaus wird immer voller. Und wir brauchen die Ratten, um das Heilmittel zu finden. Also, wie lautet die Antwort, Solovet?«
12. Kapitel
A m Ende blieb ihnen keine Wahl. Sie mussten einwilligen, den Ratten das Flohpulver zu schicken. In Gregors Augen war das kein so großes Zugeständnis – schließlich saßen sie im Kampf gegen die Pest alle in einem Boot. Doch den Menschen fiel die Entscheidung offenbar schwer; minutenlang war zorniges Geflüster zu hören, bis Solovet bekannt gab, dass sie zum Einlenken bereit waren. Zu dem Zeitpunkt waren bereits drei Leute in Tränen ausgebrochen und einer hatte die Besprechung aus Protest verlassen.
Gregor konnte es gar nicht fassen, dass die Menschen die Ratten so sehr hassten und dass sie derartige Opfer bringen würden, nur um die Ratten tot zu sehen. Würde der Mann, der die Besprechung verlassen hatte, lieber alle sterben lassen, als den Ratten zu helfen? Es sah ganz so aus.
Der nächste Streitpunkt war die Planung der Reise zum Weingarten der Augen. Zum ersten Mal sah Gregor eineKarte vom Unterland. Vier Unterländer rollten auf der Bühne eine riesige Pergamentrolle aus und beschwerten die Ecken mit marmornen Pyramiden. Selbst von der Tribüne aus konnte man alles gut erkennen. Die Karte war in verschiedene Gebiete unterteilt, die jeweils unterschiedliche Farben hatten und schwarz beschriftet waren. Regalia lag im Norden. Die Nager hatten ein Gebiet im Süden, allerdings war es zum Teil übermalt und mit dem Wort »besetzt« überschrieben. Der Wasserweg nahm einen großen Teil in der Mitte der Karte ein. Südwestlich von Regalia konnte Gregor das Land der Flieger und das Land der Krabbler ausmachen, aber auf der Karte waren auch viele Namen, die er nicht kannte.
Gregors Blick blieb an dem Gebiet hängen, auf dem »besetzt« stand. Ein großer Fluss floss hindurch. An den unterschiedlichen Farben konnte man sehen, dass er einmal den Ratten gehört hatte, doch jetzt war er im Besitz der Menschen. Ein Fluss dieser Größe war bestimmt
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