Gregor und der Spiegel der Wahrheit
doch keinFluss war durch die Lianen zu entdecken. Die Ratten warfen die Rucksäcke mit dem Proviant neben die Felsen und streckten sich aus. Gregor lud seine Sachen auf einem Plätzchen gegenüber ab und ließ sich dann nieder, nicht ohne den Boden vorher genau zu untersuchen. Nike sauste aus den Bäumen zu ihm herunter und schüttelte die Wasserbeutel ab. Hamnet öffnete einen und ging herum, damit sie alle etwas trinken konnten.
Hazard half Hamnet, Brot, Fleisch und ein rohes, möhrenähnliches Gemüse herumzureichen. Gregor war gar nicht so hungrig, vielleicht wegen der Hitze, doch er aß seine Portion auf. Boots verdrückte ihr ganzes Essen, und dann aß sie noch ein Stück von Temps Brot auf. Das war zwischen ihnen so üblich; Temp gab ihr immer alles, was sie haben wollte. Dann spielten Boots, Temp und Hazard auf den Felsen.
»F wie Felsen«, sagte Boots, und schon bald sangen sie im Chor das Abc-Lied.
Lapblood und Mange, die auf ein paar Knochen vom Tantalusbogen herumkauten, zuckten bei dem Gesang zusammen.
»Nicht schon wieder!«, sagte Lapblood.
»Wenn sie wenigstens den Ton halten würden, aber so tut es nur in den Ohren weh«, sagte Mange.
»Auch nicht schlimmer, als euch beim Nagen zuzuhören«, sagte Gregor.
»Man muss sie doch irgendwie zum Schweigen bringen können«, sagte Lapblood.
»Ich wüsste nicht, wie«, sagte Gregor.
»Na, wenn die so weitermachen, fällt mir schon was ein!«, sagte Mange.
»Ihr Ratten … ihr habt wohl ein Problem mit kleinen Kindern, was?«, sagte Gregor. Ripred hatte Boots nie ins Herz geschlossen, und gegenüber dem weißen Rattenbaby war er geradezu feindselig. »Wahrscheinlich könnt ihr noch nicht mal eure eigenen Jungen leiden.«
Was? Was hatte er da gesagt? Dem flammenden Blick nach zu urteilen, mit dem Mange und Lapblood ihn jetzt ansahen, etwas sehr Schlimmes. Wollten sie ihn angreifen? So angespannt, wie sie heute alle gewesen waren, schien das gar nicht so abwegig.
»Da muss wohl noch jemand zum Schweigen gebracht werden«, sagte Ripred scharf zu Gregor. »Mit deiner großen Klappe machst du dir nicht gerade Freunde.«
Gregor hatte Mange und Lapblood nicht aus den Augen gelassen. Er sah, wie sich die Muskeln in ihren Vorderbeinen anspannten. Automatisch fuhr seine Hand zum Griff des Schwerts.
»Überländer«, sagte Hamnet. Gregor erinnerte sich an ihre Abmachung und ließ das Schwert langsam wieder los. »So ist es besser. Denkt dran, wo ihr seid; das gilt für euch alle. Und dass ihr einander braucht, Warmblüter.«
Als sie daran dachten, traten die Geräusche des Dschungels wieder in den Vordergrund, aber keiner entspannte sich.
Da meldete sich eine kleine Stimme: »F wie Forsch! Oh, Gre-go! F wie Forsch!«
Gregor wollte den Blick nicht von den Ratten wenden, aber irgendetwas stimmte nicht. »Forsch« gehörte nicht zu Boots’ Wortschatz. Was meinte sie bloß?
Als er sich umdrehte, brach ihm der Schweiß aus, kaum dass der alte getrocknet war. Boots saß auf dem allerhöchsten Felsen und klatschte begeistert in die Hände. Temp und Hazard wollten ihr nachklettern, waren jedoch in der Bewegung erstarrt. Fünfzig kleine Frösche zierten die Felsen wie funkelnde Diamanten. Grün und schwarz, sonnenuntergangsorange, traubenpurpur. Gregor kannte sie aus dem Zoo im Central Park. Pfeilgiftfrösche. Allerdings waren sie dort nur hinter einer dicken Glasscheibe zu sehen.
Und dafür gab es auch einen guten Grund. Wenn man nur einen von ihnen berührte, konnte das tödlich sein.
15. Kapitel
A ls sollten Gregor nun auch noch seine schlimmsten Befürchtungen vor Augen geführt werden, kroch jetzt eine unglückselige Echse auf die Felsen. Keine große wie Frill, nur dreißig Zentimeter lang, wie es sie auch im Überland zu sehen gab. Sie ließ die Zunge zu einem der Frösche herausschnellen. In dem Moment, als ihre Zunge die orangefarbene Haut des Frosches berührte, war die Echse wie versteinert. Vom Gift gelähmt. Tot.
»Nicht anfassen, Boots! Nicht anfassen!«, schrie Gregor. Oh, wie schrecklich. Gregor hatte ihr einmal eine Röhre mit Pfeilgiftfröschen aus Plastik gekauft. Die Plastikfrösche sahen ganz ähnlich aus wie diese Frösche hier. Boots konnte Stunden damit verbringen, sie auf der Armlehne des Sofas aufzustellen. Die Frösche gehörten zu ihrem liebsten Spielzeug.
Boots kicherte und klatschte in die Hände. Sie war so aufgeregt, dass sie mit den Füßen auf den bemoosten Felsentrommelte. »F wie Forsch! Ich sehe Rot, ich sehe Gelb, ich
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