Gregor und der Spiegel der Wahrheit
retten.« Hamnet warf Gregor seine beiden Rucksäcke und den Weinschlauch vor die Füße. »Ist darin irgendetwas zu essen?«
»Nur ein paar Kekse für Boots. Ach ja, und das hier«, sagte Gregor und hielt den Weinschlauch hoch. »Shrimps in Sahnesoße. Hab ich für Ripred mitgenommen.«
»Ah, mein kleiner Lieblingswüter«, sagte Ripred und schnupperte an dem Weinschlauch. »Hast du das wirklich für mich mitgebracht?«
»Tut mir leid, Ripred. Du weißt ja, dass wir das jetzt denJungen geben müssen«, sagte Hamnet und schwang sich den Weinschlauch über die Schulter.
Ripred seufzte. »Erst die gierige weiße Ratte und jetzt die Gören hier. Diese Jungen sind noch mein Tod.«
»Ach, du wirst es überleben.« Hamnet lachte. »Du wirst uns alle überleben.«
Sie stellten sich wieder hintereinander auf und setzten ihren Weg fort. Gregor versuchte Boots klarzumachen, dass sie keine bunten Frösche anfassen durfte, aber sie schien es nicht zu begreifen. Mitten in Gregors Ausführungen schlief sie auf Temps Rücken ein, sodass ihm nichts anderes übrig blieb, als es aufzugeben.
Danach wurde nicht mehr groß diskutiert. Die Hitze wurde immer drückender und alle machten sich Sorgen wegen des fehlenden Proviants. Sie marschierten weiter, bis Gregors Füße so schwer waren, dass er andauernd über irgendeine Wurzel stolperte. Dann endlich entschied Hamnet, dass es Zeit sei, ein Lager zu errichten.
Sie versammelten sich alle im Kreis um eine Öllampe. Jeder bekam eine großzügige Ration Wasser, doch zu essen gab es nur für die »Jungen«. Gregor gab Hamnet die Kekse, und er verteilte sie an Boots und Hazard. Zu Gregors Überraschung hielt Hamnet auch ihm zwei Kekse hin.
»Nein, nein, danke«, sagte Gregor.
»Du bist erst elf, du zählst noch als Junges«, sagte Hamnet.
»Nein, gib sie den Kleinen«, sagte Gregor. Er fühlte sichnicht wie ein Junges. Die Tatsache, dass er dafür verantwortlich war, seine Mutter, Ares und alle Warmblüter des Unterlands zu retten, hatte ihm dieses Gefühl gründlich ausgetrieben.
Als Hamnet den Weinschlauch aufschraubte und der köstliche Duft von Shrimps in Sahnesoße herausströmte, musste Gregor schlucken.
»Ist es wirklich klug, das den Jungen zu geben?«, sagte Ripred. »Man sagt doch, dass Sahne in der Hitze verdirbt.«
»Der einzig Verdorbene hier bist du«, sagte Lapblood. »Du riechst sehr gut, dass es noch frisch ist.«
»Man kann gar nicht vorsichtig genug sein«, sagte Ripred. Missmutig schaute er zu, wie Boots und Hazard ihre Kekse in die Sahnesoße tunkten.
Als die Kinder gegessen hatten, legten sich alle schlafen. Frill hatte sich für die erste Nachtwache gemeldet. Gregor breitete eine Decke auf dem Boden aus und legte sich mit Boots hin. Sie kuschelte sich in seinen Arm und schlummerte ein. Er wartete, bis sie so fest schlief, dass er seinen Arm unter ihrem verschwitzten Lockenkopf wegziehen konnte. Es war so heiß!
Gregor war todmüde, doch bei den Geräuschen des Dschungels konnte er schlecht einschlafen. Dazu die Hitze. Und dann noch die Tatsache, dass schon wieder der Wüter in ihm durchgebrochen war. Doch all das schien nebensächlich, wenn er die Bilder aus dem Krankenhaus vor sich sah. Seine Mutter in dem weißen Bett, Ares’ Brust, die sichhob und senkte, die Hoffnung in Howards Blick, als er Gregor sah.
So kam es, dass er noch wach war, als sie anfingen zu reden. Lapblood und Mange.
»Glaubst du, sie können überhaupt noch am Leben sein?«, flüsterte Lapblood. »Nicht die beiden Kleinen. Ich weiß, dass sie im Sterben lagen, als wir gingen. Aber Flyfur und Sixclaw?«
»Doch, doch, bestimmt«, sagte Mange beruhigend. »Das gelbe Pulver ist unterwegs, und als wir gingen, hatten sie noch keine Anzeichen der Pest. Und Makemince wird es schon schaffen, sie zu füttern, das weißt du.«
»Die beiden Kleinen … glaubst du, sie mussten sehr leiden?«, sagte Lapblood. »Ich ertrage es nicht, daran zu denken, dass sie mich riefen und keine Antwort bekamen. Meine Jungen.«
»Nein, es ist bestimmt schnell gegangen«, sagte Mange mit erstickter Stimme. »Aber lass uns daran nicht mehr denken. Wir müssen an Flyfur und Sixclaw denken. Sie haben noch eine Chance.«
»Ja. Ja, ich weiß«, sagte Lapblood. »Ich denke an sie.«
»Schlaf jetzt, Lapblood«, sagte Mange. »Bitte.«
Dann war es still, aber jetzt wusste Gregor, dass er nicht der Einzige war, der wach lag. Er wusste, dass es auf der anderen Seite der Öllampe noch andere gab, die in den
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