Gregor und der Spiegel der Wahrheit
Klauen nach der Liane und riss sie ab, und da rasteten alle Pflanzen aus.
Gregor war völlig überrumpelt, als der Dschungel zum Angriff überging. Er fummelte am Griff seines Schwerts herum, aber da war es schon zu spät. Mehrere Lianen schlangen sich um seinen Oberkörper und seine Beine. Wurzeln wölbten sich aus dem Boden und klemmten sich um seine Stiefel. Er versuchte sich herauszuwinden, aber die Pflanzen waren viel zu stark.
Wo war der Wüter in ihm geblieben? Er suchte nach Anzeichen dafür, dass er sich in einen tödlichen Gegner verwandelte, aber nichts geschah. Kein verändertes Blickfeld,kein Rauschen im Blut. Er empfand nichts als panische Angst.
Soweit er sehen konnte, befand Mange sich immer noch in der Schote. Etwa drei Meter weiter versuchte Lapblood sich aus einem Netz von Laub und Gestrüpp zu befreien.
Eine dicke Liane, die sich um Gregors Bauch geschlungen hatte, zog sich allmählich zusammen. Es fühlte sich an, als würde er von einer riesigen Anakonda zerquetscht. »Hilfe!«, versuchte er zu rufen, doch es kam nur ein kläglicher Laut heraus. »Hilfe!« Aber wer sollte ihm zu Hilfe kommen? Ripred und Hamnet waren unterwegs. Und so mutig Temp auch war … was könnte der Kakerlak schon anderes tun, als gemeinsam mit ihnen zu sterben?
Gregor merkte, wie er vorwärtsgezogen wurde. Die Pflanze zerrte ihn zu einem der klaffenden gelben Mäuler. Hilflos zappelte er herum und spürte, wie ihn die Kräfte verließen. Er bekam keine Luft mehr … die Liane hatte ihn so fest umschlungen … Jetzt sah er das Innere der Schote aus etwa dreißig Zentimetern Entfernung. Eine schleimige durchsichtige Flüssigkeit lief an den gelben Wänden herunter.
Gregor spürte, wie er das Bewusstsein verlor. Schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen. Als die Liane sich noch ein kleines bisschen weiter zuzog, musste er husten. Das Kaugummi flog ihm aus dem Mund und in die Schote.
Da sah er plötzlich klebrige pinkfarbene Fäden vor sich. Dunkel nahm er wahr, dass das Kaugummi irgendetwas in der Schote bewirkte. Es vermischte sich mit der durchsichtigen Flüssigkeit … und heraus kam ein ganz neues blubberndes pinkfarbenes Klebezeug. Die Liane um seinen Bauch lockerte sich so weit, dass er ein paarmal tief Luft holen konnte.
Lapblood schnappte immer noch schwach mit den Zähnen, als sie auf dem Weg in eine Schote war.
»Spuck!«, schrie Gregor. »Spuck dein Kaugummi rein!«
Lapblood schüttelte leicht den Kopf. Waren seine Worte angekommen?
»Lapblood, spuck das Kaugummi in die Schote!«, brüllte Gregor.
Wahrscheinlich konnten Ratten nicht so spucken wie Menschen, aber es gelang ihr doch, das Kaugummi aus dem Maul zu befördern. Und da sie mit dem Maul genau über dem Rand der Schote hing, landete es mittendrin. Auch in dieser Schote begann das Kaugummi mit der durchsichtigen Flüssigkeit zu reagieren.
Unglücklicherweise ließen die Pflanzen weder Gregor noch Lapblood los. Die Schoten mit dem Kaugummi spielten nun völlig verrückt. Sie produzierten noch mehr durchsichtige Flüssigkeit, machten wilde Kaubewegungen und bildeten blassrosa Blasen. Vorübergehend außer Gefecht gesetzt. Aber es gab noch mehr Schoten, die sich jetzt zu ihnen wandten und die hungrigen Mäuler aufsperrten.
»Hilfe!«, brüllte Gregor, und diesmal trug seine Stimme. Lapblood stieß hohe schrille Töne aus. Irgendwer würde bestimmt kommen!
Gregor sah einen Blitz mit Zebrastreifen über sich und die Schoten drehten sich nach oben. Nike, immer noch mit den Wasserbeuteln beladen, jagte in die Reben und wieder hinaus und durchkämmte die Pflanzen mit den Klauen. Eine Weile hielt sie sich, doch zu viele Pflanzen warfen ihre Ranken nach ihr aus. Er sah, wie sich eine davon um Nikes Hinterklaue schlang, und wusste, dass es aus war.
Die Lianen zogen ihren Griff an, und die Schoten drehten sich wieder zu ihnen. Gregor wollte die Hoffnung gerade aufgeben, als eine Stimme an sein Ohr drang: »Was habt ihr da gemacht?« Aus dem Augenwinkel sah er, wie ein halbes Dutzend Lianen leblos zu Boden fiel.
»Ripred«, flüsterte er und merkte, wie er lächelte.
Lauter kleine Pflanzenteile flogen durch die Luft, als Ripred eine seiner Wirbelattacken startete. Gregor musste unweigerlich an diese Geräte aus der Fernsehwerbung denken, die auf Knopfdruck Gemüse zerkleinerten.
Die Lianen lockerten ihren Griff und die Wurzeln zogen sich zurück. Gregor fiel hin; er lag auf dem Boden und versuchte seine Lungen zu füllen, als ein grüner Regen auf
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