Greife nie in ein fallendes Messer
Mit anderen Worten, die Carry-Trader würden ihre weltweiten Aktienpositionen auflösen, die betreffenden Währungen in Yen tauschen und die Kredite in Japan tilgen. Ein mittelschweres |275| Beben an den Finanzmärkten könnte die Folge dieser massenhaften Verkäufe sein.
Dem skeptischen Studiomoderator Raimund Brichta und den Zuschauern der Telebörse prophezeite ich für diesen Fall einen vorübergehenden Einbruch an den Börsen, also ein Ende der Hausse. Vor dem Treffen in Essen würde ich auf jeden Fall verkaufen und mein Pulver trocken halten für einen späteren Einstieg gegen Jahresende. Schließlich sei ja die Wirtschaft in Europa auf einem guten Kurs, der sich letztlich auch in den Preisen für Aktien niederschlagen müsste. Nach vorheriger Korrektur!
Doch leider war eine Woche später auf der offiziellen Tagesordnung des G7-Treffens und in den Protokollen nichts zu finden von Empfehlungen der Finanzminister und Notenbankchefs an die Adresse der Japaner. Nicht die geringste Andeutung!
Die japanischen Zinsen blieben in den Wochen danach lächerlich niedrig, die Börsen kehrten nach einigem Zögern wieder auf die Überholspur zurück in Richtung neuer Rekorde. Und ich lag mit meiner Warnung vor einem Einbruch an der Börse und mit meinem Rat zu Aktienverkäufen völlig daneben. In den nächsten Monaten verpasste ich erhebliche Kursgewinne. Der Taxifahrer aus Frankfurt wird sich in seiner Meinung über meine Treffsicherheit bekräftigt gefühlt haben.
Knapp ein Jahr später trat dann allerdings doch ein, was ich bereits im Februar 2007 erwartet hatte. Die US-Notenbanker hatten mit ihrem Zinsknüppel den amerikanischen Immobilienmarkt und die amerikanischen Verbraucher doch wieder zur Räson gebracht, die Jubelparty an der Wall Street und damit auch an den europäischen Börsen war beendet.
Wie schlimm der Kater in den folgenden Monaten sein würde, ahnten zu diesem Zeitpunkt nur wenige. Für mich hatte sich aber wieder einmal die alte Börsenweisheit bestätigt, dass es an der Börse nicht darauf ankommt, Recht zu haben, man muss auch Recht bekommen.
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Kapitel 13: Gier frisst Hirn. Taube Ohren für Kassandra
Anlegermessen sind für einen Börsenjournalisten immer eine willkommene Gelegenheit, in direkten Gesprächen mit Anlegern, Anbietern von Finanzmarktprodukten und Kollegen die Akzeptanz und Stichhaltigkeit der eigenen Argumente zu testen. Dass diese Veranstaltungen gleichzeitig ein Gradmesser sind für die Popularität der zahllosen Börsensendungen und ihrer Moderatoren, ist gewiss mehr als nur ein lukrativer Nebeneffekt. Nicht ohne Hintergedanken schmücken sich viele Aussteller mit mehr oder weniger bekannten TV-Gesichtern, bemühen sich Diskussionsveranstalter um namhafte Referenten aus dem Fernseh- und Printbereich.
Mitte März 2007 fuhr ich auf Einladung der niederländischen ABN AMRO Bank mit reichlichem Unbehagen nach Stuttgart zur Anlegermesse »Invest«. Nach meinen pessimistischen Äußerungen nur wenige Wochen zuvor in der Telebörse hatte der DAX mit fulminantem Schwung alle Widerstandslinien genommen und sich auf den Weg gemacht in Richtung Allzeithoch, das im Frühjahr 2000 bei 8 100 Punkten gelegen hatte. Mit meiner Prognose vom bevorstehenden Kurseinbruch lag ich also grandios daneben.
Selbst ein kurzzeitiges Kursbeben mit seinem Epizentrum in China konnte mein angekratztes Image nicht aufpolieren. Kurz vor Beginn der Anlegermesse hatte sich die chinesische Regierung ungewöhnlich offen über den preistreibenden Konjunkturboom im Lande gesorgt und damit nicht nur die Börse in Schanghai in Angst und Schrecken versetzt. Zusätzlich verunsicherte die Europäische Zentralbank die Finanzmärkte durch eine Erhöhung der Leitzinsen von 3,5 Prozent auf 3,75 Prozent. Stur wie ein Panzer blieb die EZB in ihrem Kampf |277| gegen die Inflation auf Kurs, während in den USA Ben Bernanke schon leichte Eintrübungen der amerikanischen Konjunktur ausmachte und damit bei vielen Bankanalysten die ersten Hoffnungen auf ein baldiges Ende seiner Bremspolitik weckte. Die Auftragseingänge für langlebige Wirtschaftsgüter waren im Januar in den USA überraschend stark um fast 8 Prozent zurückgegangen. Prompt war auch der deutsche Aktienindex DAX wieder unter die Marke von 7 000 Punkten getaucht.
Seit Jahren ist es für mich ein Rätsel, warum die deutsche Börse in der Regel eher auf amerikanische Konjunkturnachrichten reagiert als auf Entwicklungen am eigenen Markt. Vielleicht
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