Greife nie in ein fallendes Messer
liegt es daran, dass die Anleger aus den USA auch bei uns an der Börse das Kommando übernommen haben. Die deutschen Kleinanleger begnügen sich im großen Börsentheater mit Nebenrollen.
Nun hatte der DAX, aus welchen Gründen auch immer, seine Rekordjagd beendet. Lag ich also doch richtig? Oder war ich in eine Bärenfalle getappt und der Aufwärtstrend war nur vorübergehend unterbrochen worden? »Irgendwann bekommt jeder einmal Recht, man muss nur lange genug bei seiner Meinung bleiben«, spotteten meine Kollegen auf der Messe. Markus Koch und Stefan Rieße, die inzwischen dem journalistischen Lager den Rücken gekehrt hatten und bei großen Finanzdienstleistern in Lohn und Brot standen, zeigten sich fest überzeugt von einer baldigen Fortsetzung der Rallye. »Nur eine Korrektur im Bullenmarkt«, konterten sie auf der Messe in n-tv-Sendungen und öffentlichen Diskussionen meine Warnungen. Auch die Zuschauer gaben sich eher amüsiert, kannten doch die Aktientrends seit Jahren nur eine Richtung: nach oben! Eine kurze Verschnaufpause sei sogar höchst willkommen, könnten dann doch all diejenigen noch einsteigen, die den Börsenzug bisher verpasst hatten.
Wieder dieses Wort »Verschnaufpause«! Ein fürchterliches, gleichwohl von uns Börsenmoderatoren gern genutztes Wort – wie auch dieses »positive Terrain«, auf das der DAX vorstößt. Zieht er sich zurück, geht es in Richtung »negatives Terrain«. Grauenhafte Sprachbilder, die ich seit Jahrzehnten aus meinem Hirn zu löschen |278| versuche – leider ohne durchschlagenden Erfolg. Als Börsenreporter steht man ständig vor der Aufgabe, komplizierte Tatbestände dem Zuhörer oder Zuschauer näher bringen zu müssen, ohne ihn durch Fachausdrücke zu verschrecken. Und dann landet man halt sehr schnell auf diesen Wortmülldeponien.
Eine meiner ersten Aufgaben als Wirtschaftsjournalist beim WDR-Hörfunk hatte vor 40 Jahren darin bestanden, den täglichen Kurszettel der Sendung Soll und Haben zu schreiben. Klingt im Grunde nicht kompliziert. Doch formulieren Sie einmal für 30 und mehr Werte den simplen Tatbestand von Kursgewinnen oder Kursverlusten, ohne sich allzu häufig zu wiederholen! Man ahnt als Unbeteiligter gar nicht, welche ungeheuren Wortschöpfungen hier möglich sind. Für »Kursgewinne« reicht die Wortpalette von »gewinnen«, über »teurer werden«, »zulegen«, bis »fester verkehren«. Am schönsten fand ich immer die Formulierung »Die Aktie XY legte um bis zu 25 Pfennig zu und ging damit gut behauptet aus dem Markt«. Wohin die Aktie nach Börsenschluss entschwand, wusste ich natürlich auch nicht.
Versuchte ich durch besonders gewagte Sprachbilder diese Reporternöte zu ironisieren, landete ich regelmäßig in irgendwelchen Comedy-Sendungen, die sich mit scheinbaren oder auch tatsächlichen Versprechern oder schrägen Sprüchen anderer Moderatoren schmückten. Meine Kinder haben sich prächtig amüsiert.
Auf der Invest in Stuttgart quälten mich andere Sorgen. Ich steckte mit meiner pessimistischen Meinung tief in einer argumentativen Zwickmühle, war ich doch selber von einer Fortsetzung der guten Konjunktur überzeugt. Nur waren halt die Börsenkurse zu weit vorausgelaufen. Ich wollte ja einsteigen, nur nicht zu diesen überhöhten Kursen! Wer aber an der Börse nicht investiert ist, der läuft Gefahr, nur noch die negativen Rauchzeichen wahrzunehmen, um vor sich selbst seine eigene Zurückhaltung zu rechtfertigen.
Selbst Börsenbrief- Herausgeber Egbert Prior, der seine Stolperschritte in den Zeiten des Neuen Marktes ohne Blessuren überstanden und sich vom Jubel-Saulus zum mahnenden Paulus gewandelt hatte, teilte meine Ängste nur bedingt. Hatte er noch vor sieben Jahren |279| zu den lautesten Trommlern der Hightech-Euphorie gehört, sah er es jetzt – aus eigenen Erfahrungen klug geworden – als seine wichtigste Aufgabe an, vor irreführenden oder gar unredlichen Praktiken an den Finanzmärkten zu warnen. Nicht nur die Apostelgeschichte, auch die Welt der Aktienprediger kennt halt ihr »Damaskus«. Ob aber seine Mahnungen zur Vorsicht bei den Anlegern hier in Stuttgart so gefragt waren wie früher in Frankfurt seine spektakulären Kaufempfehlungen für Technologiewerte? Wohl kaum.
Nach zahlreichen Gesprächen mit Messebesuchern – meist waren es allerdings nur kurze Wortwechsel im Vorübergehen – hatte ich den Eindruck gewonnen, dass die Euphorie schon wieder unterwegs war. Mit riesigem Werbeaufwand trommelte Markus
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