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Greifenmagier 1 - Herr der Winde

Greifenmagier 1 - Herr der Winde

Titel: Greifenmagier 1 - Herr der Winde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neumeier Rachel
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irgendjemanden anzusehen, besonders nicht ihre Schwester, und legte die Hand in seine. Seine langen Finger schlossen sich fest um ihre. Die Haut des Fremden fühlte sich trocken und fieberheiß an. Er legte den Kopf schief und erwiderte ihren Blick mit seinen machtvollen schwarzen Augen. In ihnen war nichts zu sehen, was auch nur entfernt von menschlicher Natur gewesen wäre.
    Die Welt bewegte sich unter den Füßen der beiden und ordnete sich um. Plötzlich standen sie hoch oben auf dem Hang des Berges. Kes schnappte nach Luft, blinzelte und stellte fest, dass die Welt so seltsam und schön geworden war, wie sie sich je hatte wünschen können.
    Die Sonne ergoss sich mit erbarmungsloser Klarheit auf die Felsen, die rot und allesamt verformt und zerbrochen waren, ganz unähnlich dem alltäglichen runden grauen Gestein des Berges. Greifen faulenzten überall ringsherum, undurchschaubar wie Katzen, ehern wie der Sommer. Sie drehten die Köpfe und musterten Kes aus grimmigen, nicht menschlichen Augen. Die Federn, vom Wind gezaust, der den Berg herabwehte, schienen aus Licht gegossen und die löwenartigen Hinterpartien aus Gold gefertigt zu sein. Ein weißer Greif ganz in ihrer Nähe schien aus Alabaster und weißem Marmor zu bestehen und von innen heraus in weißem Feuer zu glühen. Seine Augen zeigten das mitleidlose Blauweiß des Wüstenhimmels.
    Auf einmal wurde Kes bewusst, dass die Greifen nicht wirklich faulenzten. Sie waren auch nicht entspannt. Sie lagen auf dem Sand oder auf verformten Felsvorsprüngen, angespannt und eingerollt, und musterten Kes mit wilden und zornigen Blicken.
    Der Mann neben ihr trat einen Schritt vor und zog ihren Blick auf sich. Die erbarmungslose Sonne warf seinen Schatten hinter ihn, und hier in der Wüste war deutlich zu sehen, dass dieser Schatten aus Feuer bestand. Er strahlte heller als selbst das flüssige Sonnenlicht. Flammen umtanzten den grimmigen Adlerkopf des Schattens wie Federn, mit denen der Wind spielte. Die Augen waren schwarz.
    Seine raue Stimme klang anerkennend, als er feststellte: »Du hast es natürlich bemerkt.«
    Kes nickte zögernd.
    »Natürlich. Du siehst sehr klar. Du bist wirklich ein Geschenk, wie ich es kaum zu finden gehofft hatte, Frau, obwohl ich nach genau so einer wie dir gesucht habe. Du bist genau das, was wir brauchen.« Er zog sie weiter mit sich, zwischen den goldenen und bronzefarbenen Greifen hindurch, bis in den Schatten, den die Flanke des Berges warf. Des Mannes Schatten wurde in dem vergleichsweise matten Licht schwächer und ähnelte den Umrissen einer deutlichen Flamme, die Kes mehr spüren als sehen konnte.
    Ein Greif lag dort, vor der Sonne geschützt. Er war tatsächlich verletzt. Eine tiefe blutige Wunde klaffte im goldenen Löwenfleisch, und Blutspritzer sprenkelten das bronzefarbene und schwarze Brustgefieder. Er lag mit offenem Maul da und atmete hektisch. Die Zunge war schmal und stachelig. Die Augen des Greifen standen offen, sahen aber nichts, waren glasig vor Schmerzen.
    Kes starrte das verletzte Geschöpf voller Entsetzen an; die Zerstörung seiner kraftvollen Schönheit und seine Schmerzen erschütterten sie gleichermaßen. Der Fremde hatte gesagt, dass er eine Heilerin brauche, aber mit solch schlimmen Verletzungen und Leiden hatte Kes nicht gerechnet. Sie hatte nichts von ihren Sachen dabei, weder die Sehnen, um damit Wunden zu nähen, noch die Pulver, um Infektionen zu verhindern. Und selbst wenn sie all das mitgebracht hätte, schien die Verletzung des Greifen doch ohnehin zu schwerwiegend zu sein, als dass Kes sie mit ihren Fähigkeiten hätte heilen können.
    Ein weiterer Greif kauerte wie ein Freund oder Bruder bei dem Verletzten. Kes musste bei diesem Anblick daran denken, wie Tesme an ihrer Seite geblieben wäre, hätte sie, Kes, eine Verwundung erlitten. Auf einmal sehnte sie sich sehr nach Tesme, und zugleich war sie von ganzem Herzen dankbar dafür, dass ihre Schwester nicht hier war. An diesem Ort fand man nichts, was Tesme verständlich gewesen wäre, und Kes hatte das nachdrückliche, wenn auch seltsam im Raum schwebende Gefühl, dass die Anwesenheit ihrer Schwester die Greifen beleidigt und sie selbst geschwächt hätte.
    Der Wache haltende Greif hatte ein Gefieder aus strahlendem Gold, überzogen mit einem kupfernen Filigranmuster. Als Kes und Kairaithin näher kamen, setzte er sich auf, den Schweif geschickt - ähnlich wie bei einer Katze - um die Adlerkrallen und Pfoten geschlungen, und fixierte Kes mit einem

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