Greifenmagier 1 - Herr der Winde
ein Messer und durchschnitt mit fachmännischem Geschick Errichs Hals.
Kes sprang erschrocken auf.
Errich riss die Augen vor Entsetzen und Erstaunen weit auf und kam noch auf die Knie, ehe der andere Soldat ihn rücklings zu Boden warf. Errich konnte nicht schreien; mit durchschnittener Kehle vermochte er noch nicht einmal zu flüstern. Das Blut strömte ihm über die Brust. Er stieß einen grauenhaften erstickten Laut aus, als das Leben aus seinen Augen wich.
Der Soldat bückte sich, schloss dem jungen Mann die Augen und sagte leise einen Satz in Praken. In diesem Augenblick klang die casmantische Sprache gar nicht grob oder rau. Sie klang nach einer Sprache, die dazu gedacht war, Trauer und Kummer auszudrücken. Verlust.
Kes hatte keinerlei Laut zustande gebracht. Sie stand nur da, die Fäuste vor dem Mund, die Augen weit aufgerissen, und starrte auf den Ermordeten.
Der Soldat, der Errich getötet hatte, richtete sich auf und drehte sich zu ihr um. Sie dachte, dass er sie als Nächstes töten würde und sie lieber weglaufen sollte - nur dass er sie bestimmt einholen würde und sie sich sowieso nicht bewegen konnte. Dann begegneten sich ihrer beider Blicke. Einige Augenblicke lang erkannte sie ihn selbst jetzt noch nicht. Dann aber fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Der große Mann, der die Kleidung eines casmantischen Soldaten trug, als wäre er damit vollkommen vertraut, an dessen Seite ein Schwert hing, als gehörte es dorthin, und der ein Kettenhemd unter dem braunen Stoffhemd angelegt hatte - dieser Mann war Jos.
»Dort wartet ein Pferd«, teilte er ihr mit und deutete mit dem Kopf in die Richtung, aus der er gekommen war.
Einen weiteren langen Augenblick war Kes völlig unfähig, sich zu bewegen. Oder zu sprechen.
Er schritt zu ihr und sagte ungeduldig, fast rau: »Wir müssen uns beeilen!«
Sie formte lautlos seinen Namen. Dann jedoch ergriff sie die Hand, die er ihr reichte, und folgte ihm in die angegebene Richtung.
Da wartete wirklich ein Pferd, und zwar ein sehr gutes: Es war beinahe ganz schwarz, hatte jedoch drei weiße Hufe und eine schmale weiße Blesse. Es wartete, am Boden angepflockt, hinter dem nächsten Bogen des Berges, keine vierzig Fuß von der Stelle entfernt, wo Kes mit Errich gesessen und die Wüste betrachtet hatte. Jos ergriff die Zügel, stieg auf und streckte die Hand aus, um Kes auf das Pferd zu helfen und sie vor sich hinzusetzen. Er war erkennbar nervös, aber ebenso deutlich sah Kes, dass er weit von jeder Panik entfernt war. Er hatte einen Plan. Er hatte vor, sie darin einzubeziehen und ... was zu tun? Sie zurück nach Minasfurt und zu Tesme zu bringen? Kes wusste, dass sie sich das hätte wünschen müssen.
Sie warf einen Blick über die Schulter zum Lager, in dem jetzt rege Tätigkeit herrschte. Soweit sie feststellen konnte, hatte noch niemand bemerkt ... dass etwas nicht stimmte. Fast im Flüsterton, aber doch deutlich zu verstehen, wies sie ihn an: »Zur Wüste. Die Wüste ist nah, Jos.«
Jos trieb das Pferd zu einem forschen Trab nach Nordwesten, schräg über den Berghang. Der Pfad verlief nicht ganz parallel zum fernen Rand der Wüste, aber doch nahezu. »Wir nehmen den Weg um Minasbrunn und umgehen die Wüste ...«, entgegnete Jos. »Sie werden überzeugt sein, dass du geradewegs dorthin läufst. Sie werden nicht so rasch auf die Idee kommen, in unserer Richtung zu suchen.«
Kes schloss die Augen und legte die Hände an den Hals des Pferdes; seine Muskeln bewegten sich geschmeidig unter ihren Handflächen. Sie hatte das seltsame Gefühl, dass sie Federn hätte ertasten sollen. »Werden sie ... Werden sie uns nicht sehen?«
»Menschen sehen das, was sie zu sehen erwarten«, antwortete Jos grimmig. »Ich habe ihnen etwas gegeben, das sie zu verstehen glauben werden, und dann werden sie nichts anderes mehr sehen.«
Kes verstand ihn nicht, nickte aber. Sie dachte an Beguchren, wie er mit diesem gleichmütigen Lächeln und den eisblassen Augen darauf wartete, ihr das Feuer aus dem Herzen zu ziehen, und sie flüsterte: »Ich möchte in die Wüste.«
»Kommt nicht infrage«, entgegnete Jos kategorisch. Die Arme, mit denen er sie umfasste, waren angespannt. Sie spürte, wie er den Kopf drehte, um nach hinten zu blicken, und ihn dann wieder nach vorn wandte. »Du darfst nicht in die Wüste zurückkehren. Ich weiß, dass sie dir als der schnellste Weg erscheint, aber die Malakteir finden dich wieder, wenn du dorthin gehst. Sie unterwerfen dich wieder ihrer
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