Greifenmagier 1 - Herr der Winde
hatte, dachte sie, nie verstanden, was Dankbarkeit bedeutete - nicht bis zum jetzigen Augenblick. Sie fuhr fort: »Als ich eine Gefangene war und allein war, hast du mich gefunden und befreit, obwohl ich schon dachte, es würde niemand tun.«
Das angestrengte Schweigen hinter ihr entspannte sich.
Vor ihnen rückte die rote Wüste näher, bis Kes glaubte, sie könne deren Gegenwart wie einen heißen Wind spüren, der ihr ins Gesicht schlug. Doch die Luft war still.
Kapitel 10
Trotz allem fand Bertaud letztendlich doch ein wenig Ruhe. Allerdings gab es keine andere Stelle, um sich zu setzen oder hinzulegen, als die offene Klippe. Und so setzte er sich auf einen Felsen, lehnte sich an weiteres Gestein und schloss die Augen.
Er träumte nicht von Iaor, was eine Gnade war und zugleich ein Quell der Bestürzung, auch wenn er sich über die wilden Greifenträume freute, die ihn erfüllten. Er träumte von Flüssen aus brennendem Magma, die über ein zerklüftetes eisendunkles Land liefen und Feuertropfen in die Luft schleuderten, wo sie auf festes Gestein prallten. Es roch nach heißem Messing und brennendem Fels. Als er sich über einen letzten Höhenrücken aus zerbrochenem schwarzem Gestein hinwegschwang, erblickte er vor sich einen See aus geschmolzenem Feuer: Eine gewalttätige Freude verzehrte ihn, wenngleich er den Grund dafür nicht kannte. Er klappte die Schwingen nach hinten und brauste in einem heftigen Sturzflug direkt auf den Mittelpunkt des feurigen Sees zu, obwohl er wusste, was geschehen würde, sobald er dort eintauchte ... sobald er dort eintauchte ...
Bertaud erwachte mit klopfendem Herzen und rotem Licht vor den Augen. Er rührte sich, schreckte auf und brummte etwas vor sich hin. Plötzlich schloss sich eine Hand um seine Schulter. Er brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dass es Kairaithins Hand war und dass der Greifenmagier ihn daran gehindert hatte, zu dicht an den Rand der Felswand zu rücken, auf der er schlief. Das rote Licht war die Morgendämmerung: Die Sonne verströmte ihr Licht brennend über die Hänge, wo die rote Wüste zum Gebirge hin anstieg.
Während Bertaud langsam die Träume abschüttelte, stellte er fest, dass er steif und hungrig war und von einem brennenden Durst gequält wurde.
Kairaithin sah nicht danach aus, als wäre er steif oder hungrig. Er stand am Klippenrand, das Gesicht der aufgehenden Sonne zugewandt, und Licht und Wärme schienen ihm nicht weniger zu entströmen als der Sonne. Sein Schatten, der geschmolzene und heiße Schatten eines Greifen, bewegte sich wie ein eigenständiges Lebewesen über das Gestein und bannte Bertaud mit feurigen schwarzen Augen.
Kairaithin drehte sich um, und seine Augen waren die gleichen wie die seines Schattens. Er starrte Bertaud mit einer Miene der Überraschung an, als erstaunte es ihn, einen Menschenmann neben sich auf dieser roten Wüstenklippe zu entdecken.
»Du bist durstig«, stellte er fest, und ein ironischer Ausdruck trat in seine Augen. »Ich bin es nicht gewöhnt, für die Bedürfnisse von Menschen zu sorgen.«
»Findet man ... Nein, bestimmt gibt es kein Wasser in dieser Wüste, oder?«
»Nein, es gibt keins.« Kairaithin zeigte den Hauch eines Lächelns. Das Sonnenlicht floss über die Wüste hinweg und entzündete hinter ihm einen Strahlenkranz. Seine Umrisse schienen sich zu verändern, oder sein Schatten hatte sich aufgerichtet und stand jetzt neben ihm. Er schien mal Mensch, mal Greif zu sein. Bertaud wusste nicht, ob er die Stimme auf dem üblichen Wege vernahm oder nur in Gedanken, als Kairaithin erklärte: Man findet weder Wasser noch die Hoffnung auf Wasser in dieser Wüste.
Bertaud war auf einmal doppelt so durstig. Er schloss die Augen.
Komm!, sagte Kairaithin, und die Welt kippte und verschob sich.
Es wurde unvermittelt viel kälter: Die Luft war kalt und frisch, durchsetzt von einem sauberen, lebendigen Duft, der so ganz anders war als die Gerüche von heißem Gestein und Metall, von denen die Wüste erfüllt wurde. Diese Luft prallte wie ein Eimer voll eiskaltem Wasser auf Bertaud. Er schnappte nach Luft und öffnete die Augen.
Das Gestein unter seinen Füßen war grau, zudem relativ glatt und nicht von tiefen Rissen durchzogen. Verkrüppelte Bergbäume klammerten sich an den dünnen Erdboden, den Mulden und Nischen im Fels eingefangen hatten. Schnee lag an schattigen Stellen und in Spalten. Ein Rinnsal sauberen Wassers lief an einer steilen Felsflanke herab und sammelte sich an deren Fuß
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