Greifenmagier 1 - Herr der Winde
einen seiner Männer, der in seinem Auftrag unterwegs ist, und sehen eben nichts anderes.«
Anweyers Pferd. Der vornehme Herr, der mit Beguchren in die Wüste vorgestoßen war, um sie, Kes, gefangen zu nehmen - war das nicht Fürst Anweyer gewesen? Voller Zweifel fragte sie: »Du hast Fürst Anweyers Pferd gestohlen?« Einen Augenblick später fuhr sie ungläubig fort: »Du kanntest sein Pferd, sodass du es stehlen konntest? Du kanntest sein Abzeichen, sodass du es dir anstecken konntest?« Ihre Stimme wurde immer lauter, während sie weiterredete. »Du trägst eine casmantische Uniform. Und du sprichst ... Du sprichst Praken! Ich denke ... ich denke, ich verstehe nichts mehr.«
Es blieb lange genug still, dass sie der Wüste in dieser Zeitspanne erkennbar näher kamen. Schließlich erklärte Jos mit rauer Stimme: »Ich bin Casmantier.«
»Ja«, sagte Kes. So viel war offenkundig, wenngleich unerklärlich. »Aber ...«
Das Pferd schüttelte den Kopf, als Jos die Zügel fester packte. Jos brummte ein Wort vor sich hin, gab dem Pferd aber wieder mehr Spiel, und es legte die Ohren nach vorn und ging schneller. Dann offenbarte Jos in einem Ton, der so flach und hart war wie das graue Gestein der Berge: »Ich bin ... Ich war ein casmantischer Spion.«
Das ergab keinen Sinn. Kes blinzelte. Sie drehte den Kopf, versuchte, ihm ins Gesicht zu blicken. Sie begriff nicht, was sie dort sah: Der kurze Eindruck, den sie von seiner Miene erhielt, war ... irgendwie anders. Jos sah gar nicht mehr nach seinem alten Ich aus, sondern wirkte eher wie ein trübsinniger Fremder. Zögernd sagte sie: »Aber ... du hast für uns gearbeitet. Für Tesme. Jahrelang.«
»Minasfurt«, erklärte Jos in dieser präzisen und harten Stimme, die so wenig nach ihm klang, »rühmt sich eines der besten Gasthäuser zwischen Terabiand und Tihannad. Ein kleines Gasthaus, aber trotzdem. Reisende steigen dort ab. Kaufleute, kleine Adlige, einfach jeder. Und sie reden. Sie reden miteinander - und auch mit Jerreid. Jerreid kann jeden aus der Reserve locken. Er hört nicht wirklich zu, wenn sie ihm von ihren privaten Geschäften erzählen. Aber ich höre zu. Habe es getan. Minasfurt ist ein guter Platz für einen Spion.«
Kes wusste einfach nicht, was sie darauf entgegnen sollte, und schwieg.
»Ich wusste Bescheid, als der Arobarn seine Armee aus Casmantium heranführte. Ich ermutigte den jungen Fürsten aus Tihannad dazu, gegen die Greifen in die Schlacht zu ziehen; ich habe die Schlacht verfolgt und gesehen, wie diese kleine Armee vernichtet wurde, ganz den Wünschen des Arobarn entsprechend. Ich hatte vor, Nachricht von der Schlacht an Anweyer zu überbringen, den Meister der Spione des Arobarn. Ich habe diese Nachricht überbracht. Sobald ich jedoch hier war, hörte ich auch von dir.«
Und er hatte sie befreit. Hatte einen Menschen getötet, um das zu tun. Sogar einen Landsmann, so unwahrscheinlich das zu sein schien. Ungläubig schüttelte Kes den Kopf, wenn auch nur geringfügig.
»Ich ...«, begann Jos und brach ab.
Kes konnte sich nicht vorstellen, was er hatte sagen wollen. Er selbst anscheinend auch nicht, denn er beendete seinen Gedanken nicht, sondern trieb das Pferd zu größerer Schnelligkeit. Als Kes vorsichtig zurückblickte, sah sie, dass das casmantische Lager nicht mehr zu sehen war; es war hinter ihnen zwischen den grauen Felsen und dem Schnee versunken. Sie entspannte sich leicht. Einige Augenblicke lang existierte nichts anderes als das Hufgetrappel auf Gestein und unebenem Boden, das Gefühl des Pferdes zwischen ihren Schenkeln und die Festigkeit des Mannes, der hinter ihr saß. Den sie zu kennen geglaubt hatte.
Jos hatte Kes nie zum Reden gedrängt; es war für sie beide stets leicht gewesen, einfach nur schweigend beisammen zu sein. Kameradschaftlich. Diesmal schien jedoch sein Unbehagen wie Wärme von seinem Körper auszustrahlen. Er zappelte im Sattel herum, wandte den Kopf nach hinten - es gab nach wie vor keinerlei Hinweise auf Verfolger -; und schon einen Augenblick später blickte er ein weiteres Mal zurück. Er verlagerte den Griff um die Zügel und tat es dann erneut, bis das Pferd in seinem Unbehagen den Kopf schüttelte.
»Du bist meinetwegen gekommen«, stellte Kes fest, ohne sich umzudrehen. Und er brachte sie jetzt zur Wüste, obwohl er nicht dorthin reiten oder sie dorthin bringen wollte. Und obwohl er nicht verstehen konnte, warum sie auf der Ansicht beharrte, dass sie unbedingt dorthin gehen müsste. Sie
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