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Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Kraemer
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sich heute noch oft erinnert.
    „Das schwule Thema war mir damals eigentlich nicht so wichtig“, sagt Berninger. Mein Engagement hatte mit meiner persönlichen Situation zu tun: Ich war in einen Berliner verliebt, der dort eine Arbeitsgruppe gegründet hatte. Ich wollte es ihm gleich tun, und so engagierte ich mich in Leipzig.“
    Erst viel später hat er erfahren, dass der Geliebte wahrscheinlich ein Stasi-Spitzel war, den man auf ihn angesetzt hatte. Später sollte ihm das sogar noch einmal passieren.
    „Als ich das herausbekam, wurde mir klar, wie perfide und paranoid das System funktionierte, wie viel Aufwand betrieben worden war, nur um an Nichtiges und an Belanglosigkeiten heranzukommen. Auch bei mir selbst ist zweimal ein Versuch der Anwerbung unternommen worden. Ich bin froh, dass ich abgelehnt habe. Jeder Versuch der Erpressung wäre fehl geschlagen, da ich ohnehin seit Mitte der achtziger Jahre offen schwul lebe. Mit Leuten, die sich im Nachhinein rausreden, habe ich heute Schwierigkeiten. Jeder hatte die Möglichkeit, sich von der Stasi fern zu halten.“
    War er denn verbittert oder enttäuscht darüber, als er feststellen musste, dass ihn seine Liebhaber bespitzelten?
    „Nein. Und es ist mir heute auch nicht mehr so wichtig. Ich hab auch kein Interesse daran, meine Akten einzusehen.“
    Dass die Stasi gezielt Spitzel auf Schwule ansetzte, war damals auch andernorts in der DDR verbreitet. Immer wieder hört man, dass viel Vertrauen missbraucht und Wunden gerissen wurden, die bis heute nicht verheilt sind. Auch in der Leipziger Szene begegnen sich Opfer und Täter nach wie vor, und bislang ist der Konflikt noch nicht öffentlich aufgearbeitet worden.
    Einmal, es war schon einige Zeit seit der Wende vergangen, Berninger hatte das Thema für sich längst abgehakt, da erwischte es ihn dann doch noch mal eiskalt.
    Er war Mitherausgeber der Zeitschrift Queer, dem „Fachblatt für Subkultur“, das später in Köln als bundesweite schwul-lesbische Monatszeitung erscheinen würde. In der Redaktion kam die Idee für ein Thema auf, das sich den Machenschaften der Stasi widmen sollte. Da outete sich ein Redakteur als ehemaliger Stasi-Mitarbeiter. Er wollte den Text schreiben und sich seiner Vergangenheit stellen.
    „Das hat uns alle in der Redaktion erst mal überrascht. Wir waren sehr aufgebracht, aber nach einer Weile sahen wir in seiner Umgangsweise den richtigen Weg für eine Auseinandersetzung mit unserer DDR-Geschichte: sich dem Leben stellen, auch wenn es schmerzlich ist.“
    Vermutlich wird es eine ganze Weile dauern, bis das Kapitel über die Staatssicherheit abgeschlossen sein wird.

    Neubrandenburg
    LSD-Trips für den Osten!
    Warum Neubrandenburg Menschen
wie Lilo Wanders braucht
    Eine typische deutsche Kleinstadt erkennt man daran, dass sie gar nicht Kleinstadt sein will. Um Himmels willen, warum auch? Das wäre ja provinziell, und „provinziell“ ist hierzulande ein Schimpfwort, vor allem in der Provinz. Also verschafft man sich wenigstens ein bisschen Metropolenabglanz, indem man hin und wieder den roten Teppich für überregionale Prominenz ausrollt, die bereits aus Funk und Fernsehen bekannt ist.
    Lilo Wanders, selbsternannte „Sexpertin der Nation“ und Travestie-Moderatorin der Erotiksendung Wa(h)re Liebe, ist so ein Tingeltangel-Star, der sich gerne dafür hergibt. Immer wieder spielt sie die gute Fee und streut ein wenig Glamourstaub über die deutsche Provinz aus.
    An diesem Freitag erweist sie Neubrandenburg die Ehre, einem Städtchen in Mecklenburg-Vorpommern, das sich in den letzten Jahren besonders fein herausgeputzt hat, unter anderem auch dank Geldern aus dem Aufbau-Ost-Programm.
    Das Ambiente lässt einen jedenfalls Bauklötze staunen: eine historische Mühle, die soeben frisch renoviert und zum Kulturzentrum ausgebaut wurde, mit Läden, Kneipen und einer Galerie. Der Ort ist an diesem Abend aber das einzig Bodenständige. Das gutangezogene Publikum geriert sich so weltoffen und erlesen, als fände gleich die Nobelpreisverleihung statt. Besonders schwul oder lesbisch ist es indes nicht, obwohl der Anlass des hohen Besuchs eine Fotoausstellung ist, auf der einhundert gleichgeschlechtliche Paare gezeigt werden. Im Raum nebenan werden kreolische Spezialitäten serviert, denn der Koch hat, wie man hört, lange Zeit in New Orleans gelernt.
    Dann, endlich: Es geht los.
    Musik vom Band spielt ab, und der Star des Abends tänzelt in einem Herzchenkleid und mit blonder Perücke in den

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