Grenzen der Sehnsucht
Zukunft versprochen.“
Hat er denn mal versucht, an einem anderen Ort sein Glück zu versuchen?
„Für einen Job bin ich mal in das Touristennest Sankt Peter-Ording gezogen, an der Küste im Westen. Gefallen hat es mir dort aber nicht, deswegen habe ich es nur zwei Wochen ausgehalten. Das war alles nur hektisch, hektisch. Da bleib ich lieber arbeitslos. Mit der Mentalität im Westen kann ich nichts anfangen.“
Inzwischen hat er sich dazu entschieden, Neubrandenburg nicht mehr zu verlassen, weil er sehr an seiner Stadt hängt.
Was hat es mit dem Lebensgefühl Ost genau auf sich?
„Es gibt eine gemeinsame Identität, weil man das gleiche durchgemacht hat. Ich will, dass es hier vorwärts geht!“ Jetzt hofft er darauf, dass mit der Osterweiterung der Europäischen Union neue Impulse für die Region ausge-strahlt werden. In der Zwischenzeit arbeitet er ehrenamtlich beim Verein Rosalila mit, um nicht die ganze Zeit über zu Hause zu hocken.
Auch Andre hängt an Neubrandenburg: „Aber nicht aus sentimentalen Gründen. Es gibt Städte, die schöner sind. An den Leuten liegt es auch nicht, die sind alle so passiv, interessieren sich für nichts und haben immer nur das eine im Kopf. Es geht mir darum, dass ich mir hier etwas aufgebaut habe.“
Mathias sieht das ähnlich, also mit gemischten Gefühlen: „Es ist schon frustig, dass so viele von hier wegziehen. Die Hälfte aller schwulen Bekannten von mir wohnt inzwischen in Berlin oder Hamburg. Aber nach Berlin möchte ich nicht ziehen. Ich habe erlebt, dass Freunde von mir dort untergegangen sind. Ich bastel mir eben hier mein Umfeld zusammen: mit Kleinkunst, Lesungen, Literatur und Freunden, die ich nicht missen möchte.“
Und hin und wieder ist ja auch ein bisschen Weltstadt zu Besuch in Neubrandenburg. Wie eben gestern Abend. Nach dem euphorischen Empfang wird Lilo Wanders bestimmt bald wieder vorbeischauen. Das braucht sie, um ihr Ego bei Laune zu halten. Und Neubrandenburg kann ihren Besuch auch gut gebrauchen.
Düsseldorf
Stadt der Avantgarde
Wo man schwulen Jungs beibringt, Selbstbewusstsein zu entwickeln
Das Coming-out, sagen manche Experten, sei heute keineswegs einfacher als noch vor einer Generation. Ausgrenzung und Diskriminierung unter Jugendlichen gelten bis zum heutigen Tag als ein Problem.
Andere behaupten wiederum das Gegenteil, und auch dafür gibt es ausreichend Indizien: zahlreiche Geschichten von einem geglückten Coming-out, von selbstbewusst und offen auftretenden Jugendlichen, die ihr Schwul- und Lesbischsein nicht verstecken und sich ohne größere Schikanen in der Schule oder dem Ausbildungsbetrieb behaupten.
So widersprüchlich, wie sich die beiden Aussagen anhören, sind sie nicht, wenn man berücksichtigt, dass sich unsere Gesellschaft nun mal ungleich entwickelt.
Aber was genau macht diese Ungleichheit aus? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Wohlstandsentwicklung und der Akzeptanz von Homosexualität? Wenn dem so ist, dann müssten Experten aus einer prosperierenden Region ein insgesamt sehr viel besseres Bild der Lage zeichnen als das, was die Sozialarbeiter aus dem schwindsüchtigen Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern berichten.
Ein vergleichender Blick nach Düsseldorf: Die Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen ist zwar nicht unbedingt eine Stadt, in der es nur so wimmelt von Jobangeboten, aber sie zählt zweifellos zu den Standorten Deutschlands mit der höchsten Wirtschaftskraft, und ihre Arbeitslosenquote liegt immerhin geringfügig unter dem bundesweiten Durchschnitt. Die Düsseldorfer Königsallee, schlicht Kö genannt, ist immer noch der edelste und umsatzstärkste Einkaufsboulevard Deutschlands, an dem die Besucher pro Tag allein für Schuhe eine Summe lockermachen, die das Bruttosozialprodukt von Ecuador weit hinter sich lassen dürfte. Und weil so viel Shopping nicht nur das Kreditkartenkonto, sondern eben auch die Nerven strapaziert, kann man diese danach an einer der noblen Champagner-Bars der Königsallee wieder fit machen.
Düsseldorf, das weiß man, ist eine Stadt, die es sich nicht nur zu Karneval gut gehen lässt und die sich das Leben auf großem Fuß auch leisten kann.
Trotzdem drücken den christdemokratischen Oberbürgermeister Joachim Erwin Sorgen. Und zwar ausgerechnet aufgrund des schwulen Treibens in seiner Stadt, das ihm nicht behagt. Schon lange ist ihm ein Dorn im Auge, dass sich der Angermunder Baggersee im Sommer zu einem beliebten Homo-Treffpunkt für das ganze Ruhrgebiet
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