Grenzen der Sehnsucht
Südvietnam, die überwiegend im Westen Berlins wohnen und bei Feierlichkeiten die alte südvietnamesische Flagge hissen, und die Marzahner Gastarbeiter aus dem Norden, die nicht verstehen, warum ihre Landsleute auch nach fast 30 Jahre noch so hadern mit der Wiedervereinigung ihres Heimatlandes. Eigenartig: Selbst unter Berliner Vietnamesen gibt es eine Mauer im Kopf.
Auf der Flucht vor dem Virus:
Wie man als Franzose in Berlin überlebt
Als wir auf das Thema Integration zu sprechen kommen, muss Bernard Cvetezar schmunzeln. „Ich fühle mich nicht nur integriert, ich habe sogar das Gefühl, zu den glücklichen Ausnahmen in dieser Stadt zu gehören“, sagt er mit französischem Akzent. Cvetezar ist in Nordfrankreich aufgewachsen. Sein Vater stammt aus Slowenien, in Berlin wohnt er seit den achtziger Jahren. „Es sind vor allem die Wessis und die Ossis, die nicht wirklich integriert sind, sie wollen beide nichts miteinander zu tun haben.“
Ich bin ein wenig überrascht und frage nach, wie er das meint.
„Na, schau doch mal. Zwar gehen die Deutschen aus dem Westen und dem Osten inzwischen in dieselben Clubs, weil es im Osten einfach die besten Locations gibt. Sie arbeiten zusammen, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt, und hin und wieder gehen sie nach Feierabend gemeinsam ein Bier trinken. Aber richtig vertraut sind sie fast nie miteinander. Nur in Ausnahmefällen.“ Wie er beim Argumentieren mit Armen und Händen gestikuliert und seine Miene spielen lässt, wirkt er wahrhaftig sehr französisch, Klischee hin oder her. Die Art von Feinmotorik eben, die man aus Filmen von Claude Chabrol oder Francois Truffaut kennt.
Aber ist das Problem rund 15 Jahre nach dem Fall der Mauer tatsächlich noch aktuell? In der Titelgeschichte der Siegessäule zum Tag der deutschen Einheit steht jedenfalls schwarz auf weiß geschrieben, dass Ost-West-Beziehungen wunderbar funktionieren. Gleich drei Liebespärchen werden vorgestellt.
„Das ist nicht die Regel, nicht unter den Leuten, die ich kenne. Meine deutschen Bekannten sind immer noch in Ost und West gespalten, und bei den Schwulen ist das keinen Deut anders, obwohl es anders sein könnte. Sie ficken häufiger miteinander, für ein paar Stunden oder eine Nacht, aber das war’s dann.“
Er zündet sich eine Gauloise an.
„Überleg doch. Neulich auf deiner Geburtstagsparty waren einige Ausländer da, aber keine Ossis.“
Bernard kennt mich gut, schon mehr als zehn Jahre.
Ein beschämender Verdacht keimt in mir auf, den ich in meinem Kopf gleich wieder zu entkräften versuche. Doch, doch, ich habe in den vergangenen Jahren immer wieder nette Leute aus dem Osten kennen gelernt. Nur aus irgendwelchen Gründen verloren sich die Kontakte nach einiger Zeit wieder. Nichts blieb haften.
„Du bist da keine Ausnahme“, beruhigt er mich, als hätte er meine Gedanken gelesen, „das ist bei allen so, die ich kenne, ob aus dem Osten oder dem Westen. Erst letzten Samstag war ich wieder auf einer Party bei einem Freund in Friedrichshain, die meisten Leute waren so um die Mitte zwanzig. Ich lernte Engländer kennen, Spanier, eine Chinesin, die Stimmung war toll; ich habe mit vielen geredet. Aber keiner von den Deutschen war aus dem Westen. Als Franzose gehöre ich zu jener Sorte von Ausländern, die einen viel leichteren Zugang zu beiden haben, zu Ossis und Wessis.“
Kinderlärm dringt aus dem Hinterhof. Vom Wohnzimmer blickt man über einen weiten, grünen, parkgroßen Hinterhof mit einer Kindertagesstätte. Am Horizont sieht man die Hochhäuser vom Nollendorfplatz. Bernard bewohnt eine Sozialbauwohnung, direkt gegenüber vom Fünf-Sterne-Hotel Esplanade. Ein Kontrast, der typisch ist für die Stadtplanung des alten Berliner Westens. Wenn im Esplanade Staatsbesuch residiert, werden in der Lützowstraße ausschließlich Anwohner durchgelassen, die sich ausweisen können.
Zum Tiergarten sind es nur etwa zehn Minuten Fußweg. Dort befindet sich das „Haus der Kulturen der Welt“, für Bernard eines der Highlights der Stadt. Das ist ein Ort, wo besonders im Sommer häufig Livemusik aus Taiwan, Bangladesh oder dem Kongo gespielt wird. Auch in Bernards Hi-Fi-Regal stehen Hunderte von CDs mit Ethno-Musik aus aller Welt, von Indien über Australien bis Brasilien.
Französische Chansons gehören ebenfalls zu seiner Sammlung. Sie sind für ihn eine Erinnerung an seine Heimat. Von dort hat er einst die Flucht ergriffen. Das wurde ihm allerdings erst viel später klar.
Auf einem
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