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Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Kraemer
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„Mein Glaube an Gott“, sagt Alp. Im zarten Alter von 16 hatte er sich in einer Wuppertaler Teestube von einer Psychosekte einwickeln lassen. Schließlich verirrte er sich in religiösem Fundamentalismus und fand erst im Laufe des Studiums wieder heraus. „Die Universität kann einen Christen sehr verändern“, sagt Alp, „weil dort Glaubensfragen unter rein wissenschaftlichen Aspekten unter die Lupe genommen werden.“ Eine Metamorphose, die ihm eine Schwere genommen und ihn vielleicht auch darin bestärkt hat, sich mit dem Glanz von Oberflächen zu beschäftigen. Und das verbissene Schürfen darunter lieber sein zu lassen.
    Heute ist er laut eigener Aussage „Inhaber des größten schwulen journalistischen Medienverbandes in Deutschland“. Das hört sich nach viel Ausdauer und Arbeit an, worauf man zurecht stolz sein kann. Was ihn jedoch verbittert, ist der Umstand, dass er in dieser Position zu keiner Medienveranstaltung in der Medienstadt Berlin eingeladen wird, obwohl selbst die Macher kleinerer, spezialisierterer Magazine regelmäßig um Teilnahme gebeten werden. Für ihn ein Indiz: Schwulsein ist auch in einer deutschen Millionenstadt noch lange keine Selbstverständlichkeit. Olaf Alp findet dafür harsche Worte: „Für die sind wir gesellschaftlicher Dreck.“
    Der Mythos von der „hippen Mitte“ – und ein
Papa als Pin-up
    Mittagszeit in Mitte. In der Alten Schönhauser Straße zieht ein Restaurant die Menschen an wie ein Magnet. Es gehört zu jenen Institutionen, die immer noch den Hype der Berliner Mitte ausmacht, jenen mythenumwobenen Ort also, der in den letzten Jahren so häufig durch die Geheimtipprubriken sämtlicher Lifestyle-Magazine genudelt wurde, dass er für viel Berliner schon wieder verbranntes Land ist. Zur No-Go-Area zählen beispielsweise alle Lokale, in denen Party-Girl Ariane Sommer für RTL-Explosiv oder die Bunte posiert hat. Tatsächlich ist der Kult um Mitte manchmal nervig, und doch hat der Trendbezirk seinen eigenen, unverwechselbaren Stil, den sich Kreative aus aller Welt zum Vorbild erkoren haben. Manchmal lohnt der Besuch wirklich.
    Wie zum Beispiel hier: Dutzende warten geduldig vor der Tür, bis ihnen ein Platz zugewiesen wird. Links und rechts vor dem Eingang stehen Schalen, in denen Orchideenblüten schwimmen. Die gesamte Front zur Straße ist gläsern und einsehbar, wie bei allen neuen Läden in der Gegend. Ein frischer Duft von Ingwer, Koriander und anderen exotischen Gewürzen dringt nach draußen. Monsieur Vuong heißt das Lokal.
    Drinnen hängt ein Porträt des Namensgebers. Eine Fotografie, die auf Plakatgröße hochgezogen ist. Darauf ist ein vor Männlichkeit strotzender Vietnamese Mitte zwanzig zu sehen, der keck in die Kamera blickt. Er trägt ein kurzärmeliges Hemd und verschränkt die Arme vor der Brust, so dass seine ohnehin schon dicken Bizepse noch kräftiger wirken. Ansprechend ist sein Lächeln, weil es so spontan und natürlich wirkt. Eine Berliner Tageszeitung hat über das Porträt geschrieben, es sei zur „Ikone“ geworden, zu einem der „Kultbilder der hippen Mitte“. Am Tresen liegen Postkarten mit dem Motiv aus, sie werden laufend nachgedruckt.
    Die Fotografie wirkt zeitgemäß. Dass sie schon vor über 40 Jahren entstanden ist, erkennt man nicht. Der junge Bursche ist inzwischen ein fast 70-jähriger Mann, der heute im maßgeschneiderten Nadelstreifenanzug die Gäste im Lokal mit Handschlag begrüßt. Daneben sein Sohn Dat, dem die freundliche Geste des Vaters etwas peinlich zu sein scheint, weil sie in einer Großstadt wie Berlin eher unüblich ist. Er sieht seinem Papa ganz ähnlich, jedenfalls auf dem Bild von früher und vor allem beim Lächeln, auch wenn er mehr von graziler Gestalt ist. Er hatte die Idee, das Foto als Erkennungszeichen für das Restaurant zu benutzen. Als es 1960 aufgenommen wurde, war Dats Vater Vorsitzender eines nationalen Sportvereins in Saigon, das nach der Vereinigung mit dem kommunistischen Norden in Ho-Chi-Minh-Stadt umbenannt wurde. Zehn Jahre später begleitete er während des Krieges amerikanische GIs als Fotograf. Aus dieser Zeit stammt eine Aufnahme, die der alte Mann in seiner Brieftasche aufbewahrt: Es zeigt ihn vor einer schwarzen Wolke, die durch eine Bombenexplosion ausgelöst wurde, an seiner Brust baumelt eine Kamera neben einer Handgranate. Nach dem verlorenen Krieg musste er Zwangsarbeit in einem Lager leisten.
    Weiß der Papa überhaupt, dass sein vergrößertes Jugendporträt aus der

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