Grenzen der Sehnsucht
Vorkriegszeit nicht nur Frauen, sondern auch Männer ins Lokal lockt? Und dass sein eigener Sohn schwul ist?
„Ja, natürlich weiß der das, ich lebe ganz offen“, sagt Dat Vuong. „Schließlich wohne ich mit meinem Freund zusammen, der zu allen Familienfesten eingeladen ist. Für vietnamesische Verhältnisse ist das nicht selbstverständlich. Die Schwulen in Vietnam müssen in der Regel eine Frau heiraten, so will es die Gesellschaft.“
Für ihn kommt das jedoch nicht in Frage, obwohl die Eltern immer noch darauf hoffen, dass der Sohn eines Tages eine Frau findet. Mit der jetzigen Situation hat sich die Familie inzwischen arrangiert. Familienwerte sind sehr wichtig in der asiatischen Kultur.
Für das Restaurant hat Dat vor ein paar Jahren sein Japanologie-Studium an den Nagel gehängt. „Gastronomie war immer ein Traum von mir“, sagt er. Ein anderer war es, ein Stück „vietnamesischen Lifestyle“ in seiner neuen Heimat zu verwirklichen. Jedenfalls so, wie er ihn sich als Idealbild vorstellt: die Wände in einem warmen, hellen Rot gestrichen, das Mobiliar schlicht und aus Bambusholz. Aus den Lautsprechern klimpert jazzige Klaviermusik. Gekocht wird mitten im Raum, vor den Augen der Gäste. Es gibt täglich nur zwei Gerichte zur Auswahl, selbstverständlich nur mit erlesenen Zutaten. Die Preise sind sehr moderat. Von seinen Angestellten lässt Dat vietnamesischen Kaffee bringen. Die Löffel sind aus Palmenholz. Ein Altar mit Räucherstäbchen und Buddha-Figuren steht hinten vor einer Zwischenwand, in die ein Aquarium mit Goldfischen eingelassen ist.
„Mein Vater hatte ganz andere Vorstellungen von dem Interieur“, erzählt Dat. Mit dem Vorschlag, Suppe in Plastiktellern statt in teuren Alessi-Schüsseln zu servieren, konnte sich der Sohn ganz und gar nicht anfreunden. Dat sagte zu seinem Vater: „Du musst das nicht verstehen; du musst es einfach nur akzeptieren.“
Das Monsieur Vuong ist eine der seltenen Erfolgsgeschichten im kriselnden Berlin. Allerdings schlug es nicht von Anfang an ein wie eine Bombe. Bis das Geschäft ins Rollen kam, war das erste Jahr längst vergangen. „Da steckt so viel Know-how drin, so viel Herzblut und Seele“, sagt Dat.
In den achtziger Jahren war seine Familie mit einem kleinen Fischerboot aus Vietnam geflüchtet und wurde im Chinesischen Meer von der Cap Anamur gerettet. Über Hong Kong kam Dat im Rahmen einer Familienzusammenführung zunächst nach Köln. 1992 zog es ihn nach Berlin. An den großstädtischen Trubel von Saigon gewohnt, war es ihm im Rheinland zu beschaulich. „Ein Fisch, der in einem Fluss gelebt hat, kann nicht in einem Aquarium überleben“, begründet er seinen Wechsel in die deutsche Hauptstadt. Bislang hat er seine Entscheidung nicht bereut: „Ich finde die Stadt sehr experimentierfreudig.“ Hier sei das Leben im Vergleich zum übrigen Deutschland doch sehr untypisch, es fließe eine Energie der ständigen Veränderung. Auch die Szene sei anders. „Die schwule Szene ist nicht so beschränkt auf einen Kiez innerhalb der Stadt, sie ist offener und mischt sich mit den anderen gesellschaftlichen Gruppen in der Stadt. Ein Phänomen, das sich just im Bezirk Mitte besonders häufig beobachten lässt.“
Schließlich hat auch er mit seinem Lokal dazu beigetragen. Schwule und heterosexuelle Besucher mischen sich in einem Verhältnis, wie man es anderswo nur selten zu sehen bekommt.
Und wie erlebt er die Fremdenfeindlichkeit hier? Im Brandenburg-Ressort der Tageszeitungen kann man wöchentlich von Überfällen auf Ausländer und Menschen mit anderer Hautfarbe lesen. Dat zuckt mit den Achseln: „In den elf Jahren, seit ich in Berlin lebe, habe ich konkret keine schlechten Erfahrungen gemacht, und im Alltag fühle ich mich integriert.“
Skurril findet er die vietnamesische Community, die sich in einem Quartier des Plattenbaubezirks Marzahn angesiedelt und ihre eigene Infrastruktur eingerichtet hat, ganz am östlichen Stadtrand. Es ist einer der Orte, wo er Freunde hinführt, die bei ihm zu Besuch sind. Dort wohnen Tausende von Vertragsarbeitern; die DDR hat sie einst hierher geholt. Allerdings kann Dat mit ihnen kaum etwas anfangen: „Viele von ihnen haben das kommunistische Regime nie in Frage gestellt, ihr kultureller Hintergrund ist ein ganz anderer.“ Sonderbar sei die Atmosphäre dort – einerseits typisch vietnamesisch, andererseits aber auch sehr berlinerisch.
Sie sind einander fremd geblieben, die ehemaligen Flüchtlinge aus
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