Grenzen der Sehnsucht
wird aber nichts: Mr. Schulz ist auf einmal nicht mehr zu erreichen, Joshua hat nie wieder von ihm gehört. „Ich hab keine Ahnung, was mit ihm geschehen ist. Ich muss noch ab und zu an ihn denken“, sagt er. Am liebsten hätte er mehr von dieser Sorte Kunden gehabt.
Eine Zeit lang besucht ihn der Besitzer eines italienischen Restaurants, der den Fehler begeht, sich in ihn zu verlieben. Er möchte Joshuas Retter sein, ihn zu seiner „Pretty Woman“ machen und aus dem „Milieu“ rausholen, aber da gibt er sich einer Illusion hin. Joshua war nicht unfreiwillig irgendwohin abgerutscht; er wollte nirgendwo rausgeholt werden. Er hat sich das Geschäft ja zielstrebig ausgesucht, und das ist letztlich etwas, das kaum ein Kunde von ihm begreifen konnte.
Er bekommt häufig Besuch von Männern, die verheiratet sind und von panischer Angst verfolgt, man könnte ihrer Homosexualität auf die Schliche kommen. Manche lügen sich auch selbst etwas in die Tasche. Wie zum Beispiel jener Klient, der behauptet, er ließe sich ausschließlich deshalb ficken, um seine Frau besser verstehen zu können. Um zu fühlen, was sie fühlt, wenn sein Penis in sie eindringt. Einmal pro Woche lässt er sich ausgiebig von Joshua rannehmen – natürlich nur aus Liebe zu seiner Frau.
Ein anderer Stammkunde hieß Manfred. Dieser mochte es am liebsten, wenn er nackt in Joshuas Wohnung putzen durfte. Allerdings musste man recht streng mit Manfred sein, dafür war er auch bereit, eine ordentliche Summe hinzublättern. Kein Problem für Joshua, der ohnehin einen wahnhaften Putzfimmel hat. Als mir Joshua diese Geschichte erzählt, kann ich sie nicht so recht glauben. Bis ich eines Tages bei ihm anrufe und Joshua mir berichtet, dass er gerade dabei sei, Manfred eine Putzlektion zu erteilen. „Say hello to my friend Mr. Kramer!“ höre ich Joshua in strengem Ton befehlen. Eine eingeschüchterte Stimme krächzt: „Hallo.“
Joshua erlebt vieles, was er als grotesk empfindet, aber am meisten zu denken gibt ihm der Fall eines ungefähr 20-jährigen, der sich eines Abends bei ihm anmeldete. Joshua hatte Kerzen angezündet und ein Pornovideo eingelegt, um Stimmung zu erzeugen. Es klingelt an der Tür, der Junge tritt schüchtern ein, starrt auf den Bildschirm, wo gerade eine unbestimmte Anzahl von Männern beim Gruppensex zugange ist, und fängt an zu zittern. Er stammelt etwas, das wohl sein Befremden zum Ausdruck bringen soll. Dann bekommt er auch noch einen Schweißausbruch.
„Ich musste ihn beruhigen, der Typ war völlig außer sich. Er hatte noch nie Sex mit einem Mann und offenbar große Probleme damit“, sagt Joshua, der dem Jungen riet, einen Therapeuten aufzusuchen. Das war nicht der einzige Fall dieser Art. In der Schwulenmetropole Berlin gibt es sehr viele Männer, die mit ihrem Schwulsein nicht zurechtkommen.
Eines Tages bekommt Joshua eine Hepatitis, obwohl er Safer Sex praktiziert und sich immer mit Kondomen vor Aids schützt. Als ihm der Arzt die Diagnose eröffnet, weiß Joshua nicht mal, was das ist. Glücklicherweise fesselt ihn die Krankheit nur sechs Wochen ans Bett. Lange genug. Danach ist er zwar gesund, aber abgebrannt. In eine Krankenversicherung hat er bis dahin nie eingezahlt.
Nach seiner Gesundung klingelt das Telefon kaum noch. Viele seiner Stammkunden sind irritiert, weil sie lange nichts von ihm gehört haben.
Dann versucht er, sein Geld durch Nebenjobs aufzubessern. Bei dem viel gerühmten Berliner Pornolabel Cazzo kriegt er eine Rolle in dem Film 160 qm Sex. Das bringt ihm jedoch kaum etwas ein.
Nach drei Jahren findet er, dass es an der Zeit ist, sich einen anderen Beruf zu suchen. Allerdings reicht sein Deutsch nicht aus, und die Auswahl an Jobs ist nicht gerade groß in Berlin.
Dann lernt er den Mann seines Lebens kennen, der bereit ist, mit ihm nach England zu gehen. Also kehrt Joshua wenige Monate später Berlin den Rücken. Es zieht ihn nach Brighton, wo er eine Ausbildung zum Möbelrestaurator und ein bürgerliches Leben in einer eheähnlichen Zweierbeziehung beginnt.
„Ich wäre damals gerne in Berlin geblieben“, sagt Joshua. Immer noch scheint er eine Menge Leute zu kennen, jedenfalls grüßt er immer wieder in eine Richtung, oder irgendjemand kommt an den Tisch und möchte wissen, was er denn jetzt so macht und wie es ihm geht.
Er bestellt sich den dritten Cappuccino. Noch eine Dosis Koffein. Dabei ist er ohnehin schon so nervös. Wenigstens ist das schmatzende Pärchen inzwischen
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