Grenzen der Sehnsucht
wird, heißt Heiße Ecke – das Sankt Pauli-Musical. Schauplatz: eine Imbissbude an der Reeperbahn. Das Stück ist eine Liebeserklärung an den Kiez, an die Huren und Hehler, die Überlebenskünstler und Versager, an die bierseligen Reeperbahntouristen aus dem geschmähten Vorort Pinneberg mit ihren Vorne-kurz-und-hinten-lang-Frisuren und an die tuntigen Tänzer des benachbarten Operettenhauses, in dem derzeit die Abba- Schmonzette Mamma Mia reisebusweise Fans anlockt. Fehlt eigentlich nur, dass das Schmidts Tivoli selbst vorkommt. So weit hergeholt wäre das gar nicht, ist das Haus doch eine Institution, nicht nur im Kiez, sondern in der ganzen Stadt.
Einer der beiden Betreiber ist Corny Littmann, der zu den prominentesten Homos der Bundesrepublik gehört. Bereits in den siebziger Jahren hatte er sich als Mitglied der Theatergruppe Brühwarm schwulenpolitisch engagiert; im Jahr 1980 wurde er zum ersten Hamburger Spitzenkandidat der Grünen im Bundestagswahlkampf gewählt. Unvergessen bleibt, wie er in einer öffentlichen Aktion den Spiegel einer öffentlichen Toilette auf dem Spielbudenplatz zertrümmerte. Dahinter verbarg sich ein vier Quadratmeter großer Raum, der von Polizisten zur Bespitzelung schwuler Aktivitäten genutzt wurde.
Als Theatermann gehört Littmann heute zum Establishment. Bereits 1999 wurde er zum „Hamburger Unternehmer des Jahres“ gewählt. Eine Auszeichnung, von der er vor zwanzig Jahren nicht zu träumen gewagt hätte. Schwulenpolitisch ist er schon lange nicht mehr aktiv, dafür engagiert er sich mit Herz und Seele für den Kiez, mehr als jeder andere Prominente.
„Ich habe eine starke Bindung zu Sankt Pauli“, sagt er, „ich wohne seit 27 Jahren in der Gegend und arbeite auch schon eine ganze Weile hier. Als Nachtmensch bekomme ich rund um die Uhr alles, was ich brauche. Es gibt viel Leben in allen möglichen Variationen. Hier konnte ich auch schon immer schwul leben.“
Wir sitzen in Littmanns Büro über dem Theatersaal; aus dem Fenster blickt man direkt auf das Treiben an der Reeperbahn.
„Der Kiez hier hat etwas Dörfliches, viele kennen sich. Und abends kommt die Welt zu Besuch in dieses Dorf. Das kommt mir sehr entgegen, denn wenn ich in Urlaub fahre, lande ich oft in der Zufälligkeit.“
Langsam und bedächtig redet er, macht viele Pausen, von Allüren keine Spur.
Er trägt Jeanshose, Jeansjacke und eine schwarze Schildmütze mit dem Totenkopfemblem vom FC St. Pauli. Als eine kleine Sensation kann man verbuchen, dass Littmann seit kurzem noch auch Präsident des Fußballclubs ist, und zwar der erste offen schwule Präsident eines Ligavereins in Deutschland! In dieses Amt ist er durch eine Reihe von Zufällen reingerutscht.
„An meinem fünfzigsten Geburtstag hab ich darüber noch gescherzt: ,Och, Präsident eines Fußballvereins wäre nicht schlecht’, so wie ich hätte sagen können: ,Ich würde mal gerne eine Oper inszenieren.’“
Dann wurde ein Kandidat gesucht, man hat Littmann gefragt – und der Stein kam ins Rollen. Dabei hat er mal in einem Interview behauptet, von Fußball keine Ahnung zu haben. War das etwa ernst gemeint?
„Das war eine Koketterie. Ich bin seit jungen Jahren dogmatischer Fußballfan, gehe seit 25 Jahren ins Stadion. In Schwulenkreisen finde ich da nur wenig Gesprächspartner.“
Wie schaut es denn aus mit der Akzeptanz als Schwuler im Fußballmilieu?
„Grundsätzlich fanden die Fans das sympathisch. Man hat gesagt: Das ist gut so, weil es St. Pauli-typisch ist. Bei einem anderen Verein wäre das nicht möglich. Die Boulevardpresse hat dann alte Fotos von mir im Fummel ausgegraben und an die Öffentlichkeit gebracht, das hat manche irritiert. Viele haben geglaubt, da kommt jetzt so ein Grüßaugust daher. Doch ich bin damit offensiv umgegangen.“
Kaum, dass er das Amt angetreten hat, gab es Krach um eine Entlassung, die er in die Wege geleitet hat.
„Zur Bild -Zeitung hab ich gesagt: ,Keiner hat geglaubt, dass die Tunte auf den Tisch haut, aber jetzt ist Schluss mit lustig.’ Im Prinzip ist es schon so, dass das Klima im Profifußball sehr hart ist für Schwule. Das ist eine der letzten heterosexuellen Bastionen. Aber irgendwie geht es doch, wenn du offen schwul auftrittst. Das beginnt schon mit Lappalien: Wie gibst du jemandem die Hand? Ist dein Handschlag zu lasch?“
Und wie ist das mit den Profifußballern, die miteinander Trikots tauschen, sich anfassen, gemeinsam duschen – gibt es da nicht einen riesigen Druck, sich
Weitere Kostenlose Bücher