Grenzen der Sehnsucht
schon vorab von jedem Verdacht des Schwulseins zu distanzieren? Wird es unter ihnen jemals einer riskieren, sich als Schwuler zu outen?
„Fußballer pöbeln viel gegeneinander. Wenn da sich einer hinstellt und offen sagt: ,Ich bin schwul’, dann wäre das ein gefundenes Fressen. Trotzdem wird es in vielleicht fünf Jahren das erste Coming-out geben. Da sind immer Außenseiter, die mit irgendeiner Eigenheit auffallen, wie zum Beispiel Paul Breitner, der politisch linksradikal war – für einen Fußballer damals undenkbar. Und doch hat er sich durchgebissen.“
Wenn Fußball die letzte Hetero-Bastion ist, heißt das nun, dass ansonsten alle Ziele der Schwulenbewegung, für die er in den Siebzigern noch mitgestritten hat, erreicht wurden?
„Ich mache mir da nicht so einen Kopf. Damals hatten wir ja so einen missionarischen Eifer. Wir haben viel diskutiert, es ging auch um Eigentumsfragen. Manchmal haben wir sogar in Frage gestellt, dass jeder sein eigenes Zimmer haben sollte – und so einen Quatsch ...“
Er lacht und schüttelt den Kopf.
„Aber wir haben uns wenigstens mit Fragen auseinander gesetzt, über die heute keiner mehr redet. Meiner Wahrnehmung nach hat sich das Klima in den Großstädten radikal verändert. Manchmal hab ich allerdings meine Zweifel, ob die Leute persönlich so zufrieden sind. Bei mir in der Wunderbar beobachte ich diese Rituale von jungen Leuten zwischen 20 und 35. Sie stehen herum und tun so, als würden sie niemanden kennen lernen wollen. Es passiert einfach nichts. Später kann man sie dann in Sexkinos wie der Mystery Hall wieder sehen. Da interessiert dann nur der schnelle Sex, und dabei sind sie unglücklich. Ich sehe da eine Parallele zu Drogen: Alles wird nur konsumiert, das erscheint mir absurd. Ich glaube, dass es vielen reicht, ihr persönliches Elend für sich allein zu konstatieren. In den siebziger Jahren hat man dagegen über alles in der Gruppe diskutiert, sich mit Drogentheorien auseinander gesetzt. Man hätte sich niemals einfach so einen Trip reingepfiffen. Man hätte sich vorab damit beschäftigt, was für positive und negative Auswirkungen bestimmte Drogen haben, zu welcher Gelegenheit man sie am besten nimmt und mit wem. Dasselbe mit dem Sex. In unserer Wohngemeinschaft stritten wir uns lange und häufig darüber, ob und welche Beziehungen man haben sollte.“
Und was bedeutet die Homo-Ehe für ihn?
„Ich glaube, langjährige Beziehungen sind Lug und Trug. Warum gibt es denn die ganze Prostitution auf der Reeperbahn? Das Geschäft mit den Nutten geht deutschlandweit in die Milliarden. Das kann man symbolisch sehen. Für die Nachfrage muss es ja irgendeinen Grund geben.“
Sylt
Ferienort mit Retro-Charme
Wo deutsche Bürgermeister
seltsamen Leidenschaften nachgehen
Die Globalisierung ist an allem schuld. Wie so häufig.
Ihretwegen wird die Welt immer kleiner, und damit rücken auch die Urlaubsorte immer näher zusammen, zumindest in unserem Bewusstsein. Sinkende Flugpreise tun ihr Übriges. Eine Pauschalreise nach Mallorca belastet das Portemonnaie kaum mehr als ein Urlaub in Deutschland. Schlecht für einen traditionellen Ferienort wie Sylt, der im globalen Wettbewerb ums Klima gegenüber den Balearen oder den Kanaren eindeutig den Kürzeren zieht. Vorbei die Zeiten, als Sylt „die Insel“ der Deutschen war, wie sie vor Jahrzehnten noch ehrfürchtig genannt wurde.
Dabei sah in den siebziger Jahren alles noch so vielversprechend aus. Sogar der Traum von einem großen schwulen Urlaubsressort am nördlichen Zipfel Deutschlands schien nicht mehr weit. Sylt war auf dem besten Wege, eine Art Fire Island für Deutschlands Homos zu werden.
Daraus wurde dann allerdings doch nichts. Diese Rolle nehmen heutzutage Orte wie Ibiza und Mykonos für sich in Anspruch, die man per Flieger von Frankfurt oder Köln aus in wenigen Stunden erreicht. Jedenfalls schneller als Westerland per Auto oder Bundesbahn. Für die meisten Deutschen liegt Sylt irgendwo kurz vor Grönland.
Selbst die kanarischen Inseln vor der Küste Afrikas sind für viele ein vertrauteres Reiseziel als die kleine, exotische Nordseeinsel, die man im Süden und Osten Deutschlands bestenfalls aus den Klatschspalten der Gala oder den Empfehlungen der Zeit für Spitzengastronomie kennt: nämlich als ein überkandidelter Ferienort für die Superreichen und Superdoofen, die dort mal eben mit ihren Privatjets hindüsen und in der famosen Sansibar eine Flasche Champagner für tausend Euro oder mehr
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