Grenzen setzen – Grenzen achten
die Beobachtungen des Begleiters als unpassend zurückzuweisen.
„Geh und wasch dich in dem Teich Schiloach!“ hat Jesus dem blinden Mann gesagt: Es braucht in solchen Fällen die liebevolle und doch zugleich konsequente und direkte Art und Weise Jesu, um denen, die ihre Augen vor ihrer Wahrheit verschließen, Mut zu machen, ihre Augen zu waschen und das bedeutet: Die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind.
Manchmal kommen Menschen in die Begleitung, die sehr freundlich und bereitwillig von sich erzählen. Gleichwohl hat man den Eindruck, dass sie mit sich selbst nicht in Berührung sind. Man möchte sie am liebsten schütteln, damit sie sich selber spüren und ihrer Wahrheit ins Auge sehen. Doch je mehr wir sie dazu drängen möchten, ihre Gefühle wahrzunehmen, desto mehr verschließen sie sich. Sie sprechen zwar über ihre Gefühle,aber sie bleiben dabei im Kopf und lassen ihre Emotionen nicht zu. Man hat den Eindruck, dass sie den braven und bereitwilligen Schüler spielen. Doch sie sind nicht bei sich. Der Begleiter braucht in dieser Situation viel Geduld und zugleich ein großes Wohlwollen einem solchen Gesprächspartner gegenüber. Er muss sich von seinem Ehrgeiz befreien, den anderen unbedingt zu dessen Wahrheit zu führen. Wenn er aber liebevoll wie Jesus dem Blinden gegenüber bleibt, dann können sich auf einmal Türen auftun. Der andere findet dann möglicherweise den Mut, seine Augen im „Teich Schiloach“ zu waschen. In der Nähe des zu ihm Gesandten (das heißt „Schiloach“) vermag er seine Augen zu öffnen und die Wirklichkeit so zu sehen, wie sie ist.
11. Wenn alles zu viel wird
Von Schuldgefühlen und unnötigem Ärger
Ein heilsamer Rückzug
Wie reagieren wir, wenn uns alles zu viel wird, wenn uns etwas über den Kopf zu wachsen droht oder wir nicht mehr weiter wissen? Dies ist eine Situation, die nicht nur uns betrifft. Entscheidend ist, dass wir lernen, zu unseren Grenzen zu stehen. Lukas erzählt uns, wie Jesus sich immer wieder von den Jüngern und den Menschen zurückzieht, um zu beten. So heißt es im 6. Kapitel: „In diesen Tagen ging er auf einen Berg, um zu beten. Und er verbrachte die ganze Nacht im Gebet zu Gott.“ (Lk 6,12) Jesus spürt, dass er Zeit für sich braucht, eine Zeit, die niemand stören darf. Deshalb zieht er sich in die Einsamkeit zurück. Er klagt nicht darüber, dass er ständig angefragt wird, dass alle etwas von ihm wollen. Er zieht einfach die Konsequenz und geht von den Menschen fort auf einen Berg. Dort, in der Einsamkeit findet er den Freiraum und kommt im Gebet in Berührung mit seiner inneren Quelle. Er erfährt das Einssein mit dem Vater. Die Einheit mit dem Vater schützt ihn davor, von den Menschen „aufgefressen“ zu werden. Nachdem Jesus die ganze Nacht allein im Gebet verbracht hatte, wählte er aus seinen Jüngern die zwölf Apostel aus. Das Gebet hatte ihm gezeigt, dass er seine Aufgabe an andere delegieren muss, um seine eigene Grenze nicht zu verletzen. Wie Mose, so erkennt auch Jesus seine Grenze an. Mose hatte Älteste eingesetzt, um sich zu entlasten. Jesus hat Jünger berufen und sie in die Städte der Umgebung ausgesandt, damit sie seine Botschaft den Menschen verkünden und die Kranken heilen. Er hat ihnen die gleichenAufgaben zugetraut, die er selbst erfüllt hat. Jesus – Gottes Sohn – stand zu seinen Grenzen.
Sich mit seinen Grenzen zu konfrontieren, kann Schuldgefühle hervorrufen. Deswegen haben viele nicht den Mut dazu und schrecken davor zurück: Vielleicht könnte ich doch noch diesem oder jenem helfen? Vielleicht könnte ich den Vortrag doch noch halten? Irgendwie wird es schon gehen. Oder sie lassen sich Schuldgefühle von anderen einreden: „Du wirst auf einmal egoistisch. Du denkst nur noch an dich. Du hast gar kein Gespür mehr für meine Bedürfnisse.“ Dagegen kann man sich kaum wehren. Und weil Schuldgefühle immer unangenehm sind, vermeide ich sie und erfülle lieber alle Wünsche der Menschen um mich herum. Um dem Gefühl aus dem Weg zu gehen, dass ich von anderen ausgenützt werde, rede ich mir dann möglicherweise sogar ein, dass das der Wille Gottes sei. Ich tue damit schließlich etwas Gutes. Ich werde gebraucht, also lasse ich mich brauchen. Meine Unfähigkeit, mich abzugrenzen, versuche ich sogar noch zu überhöhen. Ich mache aus ihr eine Tugend und bin stolz darauf. Doch eine solche Haltung rächt sich: Irgendwann wird mich meine Grenze einholen und ich werde aggressiv werden. Ich werde böse auf
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