Grenzgaenger
gab sich einen Ruck und ging schnell zur Tür. «Kommen Sie. Wir werden jetzt die nächsten Nachbarn befragen.»
Aber sie sollten nicht viel Glück haben. Die Bewohner der kleinen Straße waren eine merkwürdige Zusammensetzung. Auf der einen Seite gab es sehr junge und nicht mehr ganz so junge Freaks, freischaffende Künstler, allein lebende Gymnasiasten, Wohngemeinschaften. Sie fanden alle, Jochen Reuter wäre ein ganz cooler, dufter Typ gewesen. Ein paar waren auch auf der Fete gewesen, aber sie hatten nichts Auffälliges bemerkt.
Auf der anderen Seite lebten hier gutbürgerliche Mittelschichtler, die seit Generationen schon ihr Haus in der Schwanenstraße hatten und mit ‹diesen Leuten› absolut nichts zu tun haben wollten. Allen gemein war, dass sie auf die Polizei mit Vorsicht und Misstrauen reagierten, jeder sicher aus einem anderen Grund. Toppe musste seine ganze Erfahrung, die er in unzähligen Vernehmungen gesammelt hatte, einsetzen, bis er so einigermaßen sicher sein konnte, dass keiner ihm vorsätzlich etwas Wichtiges verschwieg. Astrid bewunderte seine Geduld und seine Hartnäckigkeit.
Als sie fast drei Stunden später endlich auf dem Weg zum Präsidium waren, hatte Toppe ein bohrendes Gefühl im Magen. Er wusste, er musste schnellstens etwas essen, sonst würde er für den Rest des Tages zu nichts mehr zu gebrauchen sein.
«Das Ganze ist doch ein einziges Durcheinander», unterbrach Astrid seine Visionen von monumentalen Schnitzeln, dicken Pommes mit Mayo und gigantischen Krügen Altbier.
«Wir haben zwei verschiedene Morde», fuhr sie fort, «und offensichtlich denselben Täter. Aber ich erkenne da überhaupt keinen Zusammenhang.»
Toppe sagte nichts, er nickte nur.
«Für mich ist das im Moment ein Riesenchaos. Geht Ihnen das nicht auch so?»
«Doch, sicher», antwortete Toppe. «Nur auf die Dauer gewöhnt man sich daran, dass man am Anfang immer vor einem Riesenchaos steht. Man kann dann immer nur einen Schritt nach dem nächsten tun. So sorgfältig wie möglich, nichts übersehen, ganz ruhig. Und meistens lichtet sich das Chaos auch sehr schnell.»
«Wenn Sie das sagen …» Aber sie klang nicht zufrieden. «Ein Täter. Ich frage mich, wo das verbindende Motiv liegt.»
«Klar», stimmte er zu, «aber im Augenblick ist das nicht die vordringliche Frage. Obwohl einem das natürlich immer im Kopf herumspukt.»
«Ich weiß nicht», meinte sie kleinlaut, «ich hab irgendwie überhaupt keinen Plan.»
«Lassen Sie mal», beruhigte er sie. «Meistens kommt der entscheidende Hinweis oder der richtige Ansatz ganz plötzlich. Man muss ihn dann nur zu packen wissen.»
Sie lächelte. «Bei Ihnen hört sich das so einfach an.»
Breitenegger wartete schon auf sie. Er hatte seine Aufgaben erledigt: Ackermann würde ab morgen früh zur Verfügung stehen, der Staatsanwalt und die Presse waren für siebzehn Uhr angesagt.
«Dem Chef geht der Arsch auf Grundeis», bemerkte er wenig fein. Er hatte sich offensichtlich geärgert und paffte so hastig an seiner Pfeife, dass sein Kopf völlig eingenebelt war.
«Wieso?», fragte Toppe.
Er saß auf heißen Kohlen. Ab 13 Uhr 30 gab es in der Kantine kein warmes Essen mehr.
«Der hat mir die Ohren vollgetutet von wegen Serientäter und Panik in der Bevölkerung, und wir sollten uns mal ein bisschen ranhalten. Und natürlich wolle er seinem Nachfolger nicht gleich den Start mit einem ungeklärten Fall vermiesen.»
«Wann geht der eigentlich?», fragte Toppe und griff gleichzeitig zum Telefon, um die Nummer der Kantine zu wählen.
«Am 1. Juni kommt der Neue.»
Toppe grunzte nur und ließ sich ein Mittagessen reservieren: Rotkohl mit Bratwurst und Salzkartoffeln. Besser als gar nichts.
Danach wurde er ruhiger. «Und die Bigband-Geschichte?»
Breitenegger legte seine Pfeife im Aschenbecher ab und nahm eine Liste zur Hand.
«Läuft heute Nachmittag an. Also, pass auf. Das sind fast alles ganz junge Leute. Die meisten konnte ich nicht erreichen, weil sie heute Morgen in der Schule sind. Ein paar habe ich einbestellen können: Den Orchesterleiter für 14 Uhr, den Posaunisten für 15 Uhr, den Pianisten für 16 Uhr, und um 17 Uhr kommen zwei Saxophone, das sind die Kinder von der Posaune. Aber guck doch selbst.» Er gab Toppe die Liste rüber.
Orchesterleiter: Karl-Heinz Müller – 32 J.
Bass: Jochen Reuter – 39 J., Musiker
Trompete: Bernhardine Püplichhuisen – 15 J., Schülerin
Trompete: Daniela Tappeser – 15 J., Schülerin
Trompete: Franz
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