Grenzgaenger
Jahren war sie mit Jochen Reuter befreundet gewesen, «praktisch gleich, nachdem er Profi geworden ist».
«Was hat er denn vorher gemacht?»
«Dies und das, ich weiß nicht. So was interessiert mich nicht.»
«War Jochen Reuter in Schwierigkeiten?»
Sie lachte trocken auf. «Die klassischen Fragen, wie? Hatte er Feinde? Nee, hatte er beides nicht. Nur die normalen Schwierigkeiten und die normalen Feinde.»
«Und was genau meinen Sie damit?», wollte Toppe wissen.
Sie seufzte ungeduldig. «Die normalen Schwierigkeiten, die so ’n Musiker eben hat: Wo krieg ich den nächsten Gig her? Welche Connections muss ich ausbauen? Wovon bezahle ich die Miete und den Sprit fürs Auto?»
«Und was sind normale Feinde?»
Sie verdrehte die Augen. «Mann, genau wie Sie und ich. Die üblichen Leute, mit denen man nicht kann. Nur bei Jochen eben Musiker. Neider, die dir den Erfolg nicht gönnen, die sich an dich dranhängen, um sich ein Stück vom großen Kuchen zu ergeiern, und denen du einen Tritt verpasst, wenn sie dir auf den Geist gehen.»
«Wer waren seine engsten Freunde?»
«Freunde? Keine Ahnung. Er kennt ’ne unheimliche Menge Leute, klar. Aber Freunde? Keine Ahnung.»
Toppe fühlte sich abgestoßen von dieser Frau, und es fiel ihm schwer, das nicht zu zeigen.
«Wer war auf der Fete am Sonntag?»
«Wie?» Sie ging zum Waschbecken, drehte den Kran auf, löschte ihre Zigarettenkippe unter dem laufenden Wasser und ließ sie im Becken liegen.
«Ach so, null Ahnung. So fünfzehn, zwanzig Leute vielleicht. Ich kenn nur ’n paar davon.»
«Wen kennen Sie?»
«Wollen Sie ’ne Liste, oder was?», fragte sie und zog ironisch den linken Mundwinkel hoch.
«Ganz recht, ich möchte eine Liste.» Toppe nahm seinen Notizblock aus der Tasche.
«Puuh.» Sie ging zum Fenster und legte die Stirn an die Scheibe. «Glaub nicht, dass ich das schaffe. Bin noch nicht wieder so gut drauf.»
«Na, dann bemühen Sie sich mal, Frau Schmitz. Wir haben Zeit», sagte Toppe ungerührt. Sie fuhr herum und funkelte ihn an. Aber dann riss sie sich zusammen, kehrte zum Bett zurück und setzte sich wieder hin. «Mir ist das doch scheißegal», murmelte sie.
«Was ist Ihnen scheißegal?»
«Er ist doch tot, oder?» Sie betrachtete ihre abgekauten Fingernägel. «Ich hatte keine Ahnung, dass er fixt. Die ganze Zeit nicht», sagte sie leise.
«Hat er ja auch nicht.» Auch Toppe war leiser geworden.
«Was?» Sie runzelte die Stirn und sah ihn zweifelnd an.
«Nein, hat er nicht. Er ist ermordet worden. Luft in die Vene.»
Er ließ ihr Zeit, das zu verdauen, aber als sie anfing, hektisch an ihren Nägeln zu kauen, beeilte er sich: «Deshalb will ich ja die Liste haben.»
Danach wurde das Gespräch ein bisschen ergiebiger, und als er sie verließ, hatte Toppe in seinem Notizbuch zwei Seiten mit Namen gefüllt: Leute, die auf der Fete gewesen waren, Reuters nächste Verwandte – seine Mutter und sein Bruder – und andere Leute, zu denen er näheren Kontakt gehabt hatte.
«Ziemlich schräger Vogel», meinte Toppe, als sie die Treppe hinuntergingen.
«Eine ganz schöne Zimtzicke, wenn Sie mich fragen», sagte Astrid schnippisch, und Toppe musste grinsen.
«Lassen Sie uns zum Tatort fahren. Sie waren ja noch nicht da.»
«Okay, Chef», gab Astrid munter zurück.
«Mein Gott, wie das hier riecht!» Sie rümpfte die Nase, schaute sich aber trotzdem sehr genau um. Die Weingläser und das schmutzige Geschirr waren nicht mehr da, das hatte alles der ED mitgenommen.
Toppe interessierte sich hauptsächlich für die Plakate, Konzertankündigungen und Zeitungsausschnitte. «Da werden wir sicher auch einiges über seine Kontakte finden können», sagte er und drückte Astrid die Pappschachtel mit den Papieren in die Hände. «Haben Sie Lust, das alles mal zu durchforsten?»
«Ja, sicher, mach ich gern. Ist doch spannend.» Sie zögerte.
«Was ist?», fragte Toppe.
«Haben Sie eigentlich die Familie benachrichtigt?»
Er starrte auf das Bett, auf dem der Tote gelegen hatte, und schüttelte den Kopf. «Ich habe mich drücken können. Die Mutter ist in Bad Zwischenahn zur Kur. Das habe ich die Kollegen vor Ort erledigen lassen. Aber Sie haben recht, ich muss da nachhaken.»
«Und der Bruder?»
Er zuckte die Achseln. «Nicht aufzufinden. Der ist wohl dick drin in der Drogenszene. Seinen festen Wohnsitz hat er bei der Mutter, aber dort ist er wohl nicht.»
«Scheißspiel.» Astrid ließ den Blick durchs Zimmer wandern. «Und jetzt?»
Toppe
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